Historische Blaetter 2. (1921)
Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg
mer. In Wien wiederum konnte man sich nicht damit schmeicheln, daß wenn Deutschland binnen kurzem angegriffen und geschlagen würde, etwa die habsburgische Monarchie unbehindert weiter existieren könne und Rußland, Serbien, Riunänien, und man darf hinzufügen Italien, auf ihre Pläne verzichten würden. Der Verlust Galiziens und der südlichen Provinzen war dann unausbleiblich. Dies drohte auch, wenn der Krieg sich trotz jetzigen Stillhaltens später wegen Serbiens entzündete. Kahm man die Unbill hin, so war man, nach der traurigen inneren Zerrüttung, doppelt geschwächt. Die staatstreuen Völker waren ohnedies tief deprimiert, die anderen hofften, wie offen gesagt und gesungen wurde, auf den Russen und den Franzosen. Und doch war die alte Überlieferung noch so stark, daß auch der einfachste Soldat, auch der slawische, wenn der Kampf aus Anlaß der Ermordung des Thronfolgers losging, mit vollem Gefühl mitmarschierte. Sollte man nun warten, bis die zum Anmarsch schon ringsum versammelten Feinde den Augenblick für günstig erachteten, um den Streich am unfehlbarsten führen zu können? Graf Stephan Tisza, der doch in der entscheidenden Ministerratssitzung vom 7. Juli 1914 der Vorsichtigste war — und nicht nur aus Kaltblütigkeit, sondern weil er sich ausrechnen konnte, daß, wenn es zu einem europäischen Kriege käme, Ungarn innerhalb einer siegreichen Monarchie seine Vorrangstellung ebenso verlieren müsse, wie in einer geschlagenen —, erkannte die Bedeutung des Augenblicks. Er äußerte dem Kaiser gegenüber, er sei sich dessen wohl bewußt, daß er mit einem Nein ebensoviel Verantwortung auf sich nehme, wie mit einem Ja, und auch er stimmte, wenngleich mit einiger Einschränkung, für eine Aktionspolitik. Gewiß hätte ein Kaunitz im einzelnen anders gehandelt als geschehen ist. Aber die Grundlinien der Erwägung waren gegeben: die Ereignisse drängten immer mehr zu einer großen Entscheidung gegenüber Serbien, das an seiner Mission festhielt. Es bestand eine sehr schwache Möglichkeit, eine viel schwächere als man in Wien wußte, daß sich der Zar unter dem Eindruck des Attentats und der Aufnahme, die es in Europa fand, von der panslawistischen Politik loslöse. Wenn diese schwache Möglichkeit zur Wirklichkeit wurde und ein kräftiges Auftreten der Monarchie gegen Serbien ohne russischen Krieg erfolgen konnte, so ließ sich die Bedrängnis für so lange beiseite schieben, als man brauchte, um einer Lösung der südslawischen Frage im Innern den Weg zu bereiten. Wenn Rußland aber bewaffnet eingriff, so war bewiesen, daß es unter allen Umständen panslawistische Politik treiben, Krieg führen und die Monarchie verstümmeln oder zerstören wollte, und dann war es besser, wenn dieser Kampf jetzt stattfand als später, in einer o an