Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

jedoch nur das Ergebnis einer aufgeregten Zeit zu sein, weil es sonst nur für den Fall ad hoc, den jedes Land zunächst im Auge habe, praktische Geltung erlange und dann wieder hinfällig zu werden drohe. Der Kanzler berührte noch verschiedene Punkte und billigte es vollkommen, daß Österreich-Ungarn sofort Bosnien und die Her­zegowina besetze, wenn Rußland in Bulgarien einrücken sollte. Er habe stets, fügte er hinzu, die Annexion dieser beiden türkischen Provinzen als das einzigste Mittel erachtet, um in diesem Teile der Türkei definitive Zustände zu schaffen. Wie Bismarck sofort bei der ersten Begrüßung des Baron Münch seiner Genugtuung Ausdruck darüber gegeben, auf diese Weise über eine Menge Punkte, die man nicht dem Papier anvertrauen könne, vertraulichen Meinungsaus’- tausch gepflogen zu haben, so versicherte er auch beim Abschiede den Gesandten des Wiener Hofes, daß es ihm als „Edelmann“, und speziell Andrássy gegenüber, widerstrebe, Unrichtiges zu sagen, da er sonst vorziehe, zu schweigen. Er sprach dann noch die Hoffnung aus, Andrássy werde mit dem, was ihm Münch von seiner Seite über­bringe, zufrieden sein1, und schloß die Unterredung, die sich über mehrere Tage erstreckt hatte, mit den Worten: „Ein Schelm gibt mehr als er hat“1 2. Für einen solchen aber hielt Freiherr v. Langenau den deutschen Reichskanzler. Mutete er ihm doch zu, daß er Rußland das 1856 verlorene Bessarabien und Österreich-Ungarn Bosnien anbieten ließ3, nur um beide Reiche miteinander zu verfeinden. Nachdem es Bis­marck schon einmal gelungen, meinte er, könne er es nun nicht mehr lassen, von Zeit zu Zeit die Karte von Europa, wenigstens auf dem Papier, umzugestalten. Langenau, der für Rußland schwärmte, kam immer wieder darauf zurück, daß dessen Politik, welch aben­teuerliche Ziele ihr auch immer zugeschrieben werden mögen, dank 1 Andrássy in margine: Fragezeichen. 3 Berichte des Baron Münch über eine Unterredung mit Fürst Bismarck. (Diese Überschrift rührt von der Hand des Grafen Andrássy her.) Die vorliegenden Berichte selbst sind Kopien. W. St. A. Sie tragen das Datum Wien, 8. Oktober 1876. Auf dem Konzept des Briefes des Kaisers Franz Josef an Alexander II vom 3. Oktober steht: „Baron Münch zum Zwecke seiner Mission nach Varzin eingehändigt,“ Wenn Münch der Brief vom 3. Oktober zur Vorlage an Bismarck mitgegeben wurde, kann er unmöglich bereits, wie er in seinem ersten Berichte erwähnt, am 3. Oktober in Varzin gewesen sein. Hier muß ein Fehler in der Abschrift sein. Über Bismarcks Ansichten über den gleichen Gegenstand im Jahre 1887 siehe Pribram, „Zwei Gespräche des Fürsten Bismarck mit dem Kronprinzen Rudolf“, „Österreichische Rundschau“ 1921. 3 Andrássy maehte hiezu ein Fragezeichen. nn Q

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