Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Volksgeistes“, so hat Treitschke damit das alte romantische Ideal der Geschichtsschreibung erfüllt, wobei die dramatische Be­wegung der Schilderung durchaus nicht dem romantischen Grundsatz widerspricht1. Wenn in J. G. Droysens „Grundriß der Historik“ „alle modernen Begriffe (aus dem Bereich der geschichtlichen Auffassung) bereits berührt sind“1 2, so stammt sein System aus dem Zeitalter vor der „Soziologie“, mag man es im einzelnen mehr von Schleier­macher und der Romantik im ganzen oder von den Anschauungen der klassischen Altertumswissenschaft oder von Hegel herleiten. Wenn wir heute von der „Soziologie“ des Rechts, der Wirtschaft, der Re­ligion usw. hören, so sind die Gemeinschaftsbeziehungen des Rechts, der Wirtschaft, der Religion3 schon von der Romantik beobachtet worden. Als Urheber der „Soziologie“ gilt Comte4. Tatsächlich ist, wie wir sehen, die soziologische Betrachtung vor ihm schon vorhanden. Er kann nur als Urheber der positivistischen Soziologie, des Positivis­mus oder einer bestimmten positivistischen Art angesehen werden. Das Charakteristische seines Systems liegt in der Ablehnung der Meta­physik, einem schroffen Empirismus und in der Neigung zum Natura­lismus. Natürlich bemächtigt sich die Metaphysik, die der angeblich reine Empirismus entbehren zu können erklärte, in der Gestalt massiver Willkürlichkeiten des Systems5. Wenn Comtes Soziologie die Soziologie schlechthin sein soll, so ist über diese von vornherein der Stab gebrochen. Wir machen im Interesse der soziologischen Betrachtung geltend, daß sie etwas Ernstes ist, das man nicht mit der Comteschen Soziologie und den anderen Versuchen, die sich marktschreierisch als die Soziologie ausgeben, gleichsetzen darf. Es ist merkwürdig, daß deutsche Forscher, erfolgreich auf dem Boden der guten deutschen historischen Schule arbeitend, sich dem Comteschen Positivismus zuwandten, obwohl doch in der heimischen Forschung Besseres vorlag, so Erdmannsdörffer und Scherer, beide 1 Vgl. oben S. 179, Anm. 1. 2 Tröltsch, Historische Zeitschrift 122, S. 431, A. 1. 3 Über die Wirtschaftssoziologie der Romantik vgl. Hans Freyer, Die Bewer­tung der Wissenschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts (1921), S. 37 ff., über Schleiermacher als „Religionssoziologen“ Rothacker, S. 81. 4 Vgl. Tröltsch, Positivismus, S. 24. 5 Über das aufklärerische Element einerseits und die Konstruktion einer Menschheitsreligion nach Art der katholischen Heiligenverehrung anderseits bei Comte vgl. Weltw. Archiv a. a. 0., S. 515; Tröltsch, Positivismus S. 23.

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