Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres Die Geschichte des Jahres 1859/60 hat der Welt eine eindringliche Lehre über den Werth moder­ner Friedensschlüsse gegeben. Noch war es kaum zur Hälfte beendet, und schon war, trotz des Pariser Ver­trages von 1856 die orientalische Frage wieder in vollem Gange. Aerger aber war cS, daß der Züri­cher Traktat, mit dem jener Zeitabschnitt begann, auch nicht einmal d i e Kraft hatte, das Fortschreiten der italienischen Verwicklung, zu deren Beilegung er bestimmt schien, nur auf Einen Augenblick zu unter­brechen. Die in der Schweiz versammelten Diplomaten hatten sich endlich geeinigt und am 10. November wa­ren drei Aktenstücke unterzeichnet worden, die im All­gemeinen die Stipulationen von Villafranca erneuer­ten, die Rechte der Erzherzoge von Toscana und Mo­dena jedoch blos einfach „refervirten" und den Ge­danken an eine gewaltsame Restauration zurückwiesen. Die Erledigung sämmtlicher Punkte, die nicht aus­schließlich von den drei kontrahirenden Staaten ab­hingen, wurde einem einzuberufenden europäischen Congresse Vorbehalten: so die Conföderationsangele- genheit, die Reformen im Kirchenstaate, die Reorgani- sirung Centralitaliens. Sardinien verpflichtete sich 100 Mill. Lire an Oesterreich und 60 Mill. Frcs. an Frankreich zu entrichten: doch übernahm das Letztere die Auszahlung der 100 Mill., welche es dann von Piemont in bestimmten Fristen remboursiren sollte. Von den drei Dokumenten war übrigens das Erste, in welchem Oesterreich die Lombardei unter gewissen Bedingungen an Frankreich abtrat, nur von Oester­reich und Frankreich; das zweite, in welchem Frankreich die Lombardei unter denselben Bedingungen an Pie­mont überließ, nur von Frankreich und Sardinien unterzeichnet. Blos das dritte, welches den Frieden wiederherstellte, trug die Unterschriften aller drei Mächte: aber alle, Victor Emmanuel mißliebigen Klauseln in Betreff des italienischen Bundes und der mittelitalienischen Herzoge hatten lediglich in dem österreichisch-französischen Vertrag Aufnahme gefun­den, so daß Sardinien dadurch nicht gebunden war. Allein, diesem Traktate gegenüber, bestand ja die nt i t- telitalie nische L i g a seit dem 11. August nicht ■nur in Kraft fort: nein, es brachte auch jeder Tag Kunde -Non weiteren Fortschritten, welche der Ver­schmelzungsprozeß bet vier Provinzen untereinander und ihre Annäherung an Piemont machte. Dazu kam, daß Napoleon den Abgeordneten Toscana's, Parma's und Modena's eine Audienz in den Intimen gewährt und sie mit halben Hoffnungen entlassen hatte, obschon Graf Walewski ihnen nicht verhehlte, daß er für seine Person mit aller Kraft an der Wiederherstellung des status quo ante arbeite. Auch an den Umstand, daß der Kaiser die Deputirten der Romagna nicht em- pfangen, durfte der Klerus keine allzugroßen Erwar­tungen knüpfen. Schon Mitte Oktober war der fran­zösischen Presse der Abdruck der bischöflichen Mande- ments in Betreff des Kirchenstaates untersagt worden. Um dieselbe Zeit wagte bei der Anwesenheit des Kai­sers in Bordeaux der dortige Kardinal-Erzbischof ihm' einzuschärfen: „er möge jener christlichen Politik treu bleiben, die vielleicht das Geheimniß der Wohlfahrt und die Quelle des Ruhmes seiner Regierung ent­halte, und der heiligen Jungfrau, die ihn und seine Familie mit ihrem mütterlichen Schutz bedecke, den schuldigen Zoll der Dankbarkeit entrichten, indem er ihrem Sohn in der Person seines Stellvertreters einen Triumph bereite." Der Prälat erhielt die trockene Antwort: „die Regierung, die den Papst nach Rom zurückgeführt, könne ihm keine anderen Rathschläge er- theilen als solche, die aus der aufrichtigsten Hinge­bung an sein Interesse hervorgingen; die Frage sei aber jetzt die, ob die Franzosen bei ihrem bald be­vorstehenden Abzüge aus Rom dort Ordnung oder Anarchie hinter sich lassen würden? und diese Frage sei nicht durch heiße Leidenschaften, sondern blos durch ruhiges Suchen nach der Wahrheit zu lösen — darum möge Jeder die Vorsehung bitten, daß sie Könige und Völker über die kluge Ausübung ihrer Rechte, so wie über die Ausdehnung ihrer Pflichten er­leuchte." Während sich nun im Laufe des November feftstellte, daß der Congreß von den acht Unterzeich­nern des ersten Pariser Friedens, d. h. also von den fünf Großmächten, Schweden, Spanien und Portugal, so wie von Piemont, Rom und Neapel beschickt wer­den solle; während die Schweiz — eine seltsame Vor­ahnung ! — sich bemühte, gleichfalls Zutritt zu er­langen für die Eventualität, daß Neutralsavoyen in den Kreis der Berathungen gezogen würde; während es endlich noch zweifelhaft blieb, ob man für Central- italien die gestürzten Dynastien, wie Oesterreich

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