Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Necrologie

20 erologie. tiefe Plane und kleinliche Eindrücke lebhaft abspie­gelten; ein Gesicht, das mit der Seele in unter­brochenem telegraphischem Verkehr stand, das immer beschrieben war und den Beobachter stets wahre oder- gemachte Gefühle lesen ließ. Eine kräftige, jedoch nicht athletische Gestalt von verhältnißmäßigem Wuchs, mit gelenken, durch Gymnastik geübten Glie­dern, mit einer starken, gestählten Brust, sehnigen Armen, verbrannten, unbehandschuhten Händen und dunkelgelber Gesichtsfarbe. Seine Stirne war breit und von großem Umfang; den Charakter dieser gro­ßen und finstern Stirne ergänzten die großen, dich­ten, ineinander fließenden struppigen Augenbraunen, auf welche der Graf selbst manchen Witz zu machen pflegte. Sein Blick war größtentheils scharf und durchbohrend, selten düster und schwärmerisch. Seinen großen Mund beschattete ein kurzgeschorner, schwar­zer Schnurrbart. Auf seinem starken, breitknochigen Kinn saß der Ausdruck roher Kraft nnd der Trotz eines starkeil Willens. Seine Stimme war kräftig, männ­lich, doch ohne Metall, nicht melodisch. Seine Schlä­fe waren von krausem schwarzem Haare umgeben. Er trug bequeme reinliche Kleider nach englischem Schnitt, gewöhnlich mit irgend einer auffallenden Zu­gabe. Er war ein Freund des verständigen, edlen Lu­xus , oder vielmehr des englischen Komforts. Er war außerordentlich pünktlich, thatig, beweglich, und wußte seine Zeit weise und geschickt einzutheilen und zu ordnen. Wer erinnert sich nicht, wie er durch die Gassen eilte, eine lederne Tasche unter dem Arm, wie er aus dem Wege viele kleine Geschäfte besorgte, rechts und links Erkundigungen einzog; wer erinnert sich nicht an sein lebhaftes Mienenspiel, an sein spöt­tisches Lächeln, seine rastlose Beweglichkeit, seine Witze, seine eigenthümlichen Reden, und seine kleinen Abstecher in die Obstläden? Während er Briefe schrieb und las, gab er nebenbei auf Alles Acht; alle Phasen der öffent­lichen Berathungen, alle Ausdrücke der Redner pflegte er mit einem wunderlichen Mienen- und Gebärdenspiel, mit grotesken und schlagenden Witzen zu begleiten; aufseinem Gesicht wechselten proteische Veränderungen, die Beweglichkeit seiner Stirnhaut war außerordentlich. Wenn er einen Gegenstand für so wichtig hielt, daß er darüber zu sprechen wünschte, so begann er seine improvisirten Reden mit sehr gemäßigtem Ton, doch in angreifender, polemischer Manier; er überließ sich da­bei ganz den Eingebungen des Augenblicks und den Launen seines Genie's. Während der Rede wurden seine Gebärden erhabener, seine Stimme klangvoller und weicher, sein Mienenspiel harmonischer; er drängte seine Nachbarn zur Seite und begann in dem rings um ihn entstandenen leeren Raum wie ein Löwe im Käfig auf- und abzugehen; bald schlug er leiden­schaftlich mit der Faust auf den Tisch, bald schien er sich kalt vom Publikum abzuwenden, dessen Miß­billigung und Murren seinen Trotz nur vermehrten. Obwohl er für die Aeußerungen der Volksgunst im Innersten ziemlich empfänglich war, so zeigte er dies doch äußerlich nicht; vor der anspruchvollen Menge, deren Meinung er verachtete, konnte er sich nicht demüthigen. Er besaß ein ausgezeichnetes Red­nertalent, doch schien er auf diesen Theil seiner Tha- tigkeit kein besonderes Gewicht zu legen. Von dem Landtag 1833, auf welchem er seiner damaligen Popularität zufolge eine ungeheuer große Rolle hätte spielen können, zog er sich freiwillig zurück, und ging — den Platz Wesselényi überlassend, um die Felsen des Eisernen Thores zu sprengen. Als Mitglied der Magnatentafel war er auf dem Land­tag 1840 von größtem Einflüsse, da er damals zwi­schen den Parteien die Vermittlerrolle spielte. Aber auch damals widmete er nicht den größten Theil seiner Zeit der parlamentarischen Thätigkeit; von einem großen Theil der leidenschaftlich diskutirten Prinzipienfragen wandte er sich kalt ab, und hielt meist in Betreff der materiellen Fragen lebhafte, witzige, polemische Reden. Doch sein vorsichtiges Schweigen ging nicht bis zu jener Grenze, bei wel­cher es angefangen hatte für ein Verbrechen zu gel­ten; in zwei großen Beschwerdefragen, nämlich der Versagung des priesterlichen Segens und der Rede­freiheit, hielt er seine ausgezeichnetsten Reden. Seine starke Rhetorik durchwehte der Geist der Versöhnung, zugleich aber auch ernste aufrichtige Gerechtigkeit. Als Mensch hatte Széchenyi ein edles, zu jedem Opfer bereitwilliges Herz; er war ein Feind der sogenannten Misericordianer-Philanthropie, doch als einer seiner politischen Gegner verhaftet war, unter­stützte er die Familie desselben mit einer beträcht­lichen Geldsumme. Seit 1836 mit der verwittweten Gräfin Crescentia Zichy verheirathet, war er ein liebevoller Gatte und Vater. Im Jahre 1848 endlich hielt er es für seine Pflicht, das Portefeuille der Kommunikationen zu übernehmen, obwohl er vor einer Persönlichkeit des neuen Ministeriums im In­nersten erschrak. Er wollte die gemäßigten Elemente des ungarischen Kabinetts verstärken: aber nur zu bald ward er inne, daß die Fluth bereits zu mäch­tig angeschwollen sei, um bemeistert zu werden, und die rasche Erfüllung seiner Prophezeiungen machte ihn wahnsinnig. Bei einer Fahrt auf der Donau sprang er mit einem Schrei des Entsetzens ! „Blut! Blut \“ in die Wellen. Er wurde gerettet, und am 5. September 1848 trat er den traurigen Weg nach der Döblinger Irrenanstalt an. lieber die nächst­folgenden sechs Jahre seines Lebens liegt ein tiefer Schleier gebreitet, den selbst der scharfe Blick der Aerzte nicht zu durchdringen vermochte. Mehr als sechs Jahre war der Graf völlig von aller Welt abgeschlossen, und selbst seine nächsten Angehörigen kamen selten mit ihm in Berührung; er sprach und las wenig und weinte viel. Vor etwa fünf Jahren schien sich das Dunkel, welches seinen Geist umlagerte, endlich zu lichten; er wurde wenigstens für seine

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