Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres. 161 der Viceconsul Emerat schwer verwundet ward. Namik Pascha, erbittert über Page's Benehmen, war Sdr dem Massacre von Dscheddah auf eine angebliche Amtsreise gegangen; und die Lokalbehörden sahen dem bestiali­schen Treiben der fanatisirten bluttrunkenen Rotten ru­hig zu. In Frankreich glaubte man, eine neue „euro­päische Frage" ersten Ranges bei dem Schopfe zu Huben: allein es war noch die Zeit, wo Napoleon sich bei Lord Derby um den Besuch der Königin Viktoria in Cherbourg bewarb. Graf Walewskt mußte daher von seiner Ansicht, daß hier ein Fall vorliege, der ein tirektes Einschreiten der beleidigten Mächte eben so sehr rechtfertige als erheische, abstehen und sich dem englischen Beschlüsse fügen, daß erst abzuwarten sei, ob die Pforte, seit zwei Jahren bekanntlich ein Mitglied des europäischen Concertes, nicht die Kraft oder den Willen babe, Frankreich und England die nothwen- dtge Genugthuung zu verschaffen. Selbstverständlich zeigte der Sultan dazu die größte Geneigtheit; Ismail Pascha ging sofort mit einer Truppensendung und mit außerordentlichen Vollmachten als großherrlicher Com- missariusanBord eines nach Dscheddah bestimmten Fahr­zeuges. Aber das englische Kabinet benahm sich in dieser ganzen Angelegenheit mit einer traurig kleinli­chen Psiffigkett - kaum war es ihm gelungen, Frank­reich zu beschwichtigen, als es, um den Orientalen zu imponiren, den wohlfeilen Schlag allein auszufüh­ren beschloß, den es sich in Gemeinschaft mit dem Al- ltirten zu unternehmen geweigert. Am 10. August legte sich der englische Capitän Pullen mit dem „Cy- clops" vor Dscheddah, cittrte den abwesenden Namik Pascha und bombardirte die Stadt mit Unterbrechungen drei Tage lang, obschon das Gericht mittlerweile zehn von den Mördern zum Tode verurtheilt, weil der Gou­verneur nach seiner Rückkehr erklärte, es sei unmöglich für ihn, den Spruch vollziehen zu lassen, da der Hat- humayum selber, den die Westmächte im Februar 1856 dem Sultan abgepreßt, allen mit der Todesstrafe Be­legten ausdrücklich das Recht des Appell's nach Con- stantinopel vorbehält. Zum Glück traf Ismail Pascha ein, der durch feine- Spezialvollmachten zur Vornahme von Hinrichtungen autorisirt war und die Uebelthäter sofort am Strande im Angesichte des „Cyclops" hän­gen und köpfen ließ — etwa doppelt so viele Verbre­cher führte Ismail Pascha in Ketten zur Aburtheilung nach Constantinopel. Die Pforte protestirte gegen die Beschießung, Frankreich forderte Erklärungen: ein heuch­lerischer „Ttmes"-Artikel, der den Akt für unver­ständig und überflüssig erklärte, sowie das von engli­schen Zeitungen verbreitete Gerücht, Pullen sei von 1 lkincr Regierung desavouirt worden, obschon er ruhig .'vor Dscheddeh blieb, wo er noch heute liegt, war Al- > les, was beide Staaten erlangten. Wenige Tage spä- -t,r beendete am 20. August nach dreimonatlichen Si- ryungen die am 22. Mai zum dritten Male zusammen- 'getretene Pariser Conferenz die Donau für- 'stenthümerconvention. Alles Beiwerk, Mon­tenegro, der Hathumayum n. f. w., kurz alle die klei­nen Arabesken, auf die Graf Walewskt gerechnet, war schon im Voraus ihrem Bereiche entzogen worden, und kam nicht einmal zur Sprache. Selbst in Bezug auf die Donnuschiffahrtsakte nahm Baron Hübner eben nur die Ausstellungen der verschiedenen Mächte an dem Dokumente in der letzten Zusammenkunft entgegen, um sie den übrigen Uferstaaten mitzutheilen und dann eine ausschließlich von den souveränen Uferstaaten revidirte Uebereinkunst später der Conferenz, wenn sie zum vier­ten und hoffentlich zum letzten Male einberufen werden wird, zur „Aktnahme" vorzulegen. Auch in Betreff des Untonsprojektes hatte Frankreich wenig erreicht, ob­wohl es einmal die Conferenz zu sprengen drohte, wenn sie den Unionisten nicht wenigstens einige Schein- concesfionen mache. Nur so viel war ihm allerdings gelungen, der Türkei eine neue Achtllesverse zu schaf­fen, indem in den Fürstenthümern ein Zustand und eine Verfassung sanktionirt wurden, die für jedes Land, am meisten aber für die unklaren und unruhigen Köpfe dieser Gegenden eine Quelle ewigen Zerwürfnisses und Verwicklungen sein müßten und müssen; indem der Pforte der letzte Rest von Einfluß in der Moldowa- lachet entrissen und ihrer Suzeränetät die vielköpfige Garantie und eventuelle Einmischung der sieben Ver- tragsmächte subftttutrt ward. Der Sultan hat am lin­ken Donauufer nichts mehr zu thun, als alljährlich vier Millionen Piaster Tribut in beiden Provinzen zu erheben; die Hospodare verhandeln mit ihm durch Repräsentanten, die sie wie selbstständige Fürsten in Constantinopel accredttiren und die in allen wichtigen Fällen berechtigt sind, über die Entscheidungen des Großherrn hinaus an die Gesandten der Bürgschafts­mächte bet der Pforte zu appelliren. Was aber die Vereinigung anbelangt, so müssen die Fürstenthümer sich mit der Einsetzung eines gemeinsamen Cassations- gerichtshofeö und einer Centralcommission in Fokschan begnügen, die zwar alle möglichen Vorschläge zur Einführung gleichmäßiger administrativer Institutionen machen kann, es aber durchaus in das Belieben der Hospodare stellen muß, ob diese von derartigen Pro­jekten Notiz nehmen wollen, oder nicht. Der Name „Vereinigte Provinzen" wird die Rumänen eben so wenig besonders entzücken, als die Spielerei, daß ihre Milizen an den beiderseitigen Fahnen außerdem ein gemeinsames Band mit den Nationalfarben führen sol­len : denn die Hospodaratel bleiben getrennt und ebenslänglich; natürlich behält auch jedes Fürstenthum seine gesonderte Nationalversammlung. Zur Entschä­digung dafür hat Frankreich durchgesetzt, daß den un­reifen Moldowalachcn alle jene Privilegien bewilligt wurden, für die Frankreich seit dem Staatsstreiche des 2. Dezember zu leichtsinnig befunden worden ist: Mi­nisterverantwortlichkeit, Steuerbewilligungs-, Finanzcon- trollirungs- und Gesetzgebnngsrecht für die Divans im ausgedehntesten Sinne des Wortes, ferner Wahl der I Hospodare durch diese Versammlungen) endlich alle

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