Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
Geschichte bet Jahres. 157 spiellosem Aufwande von Geld 'und Kräften beschleunigt — und wartete ab, was die Tories geneigt sein würden für ihn zu thuu. Bald ward es zur Gewißheit, daß Derby unter keinen Umständen ein nochmaliges Experiment mit der Mord-Verschwörungsbill machen wollte. Um einer solchen Zumuthung zu entgehen, nahm er sich vor durch die That zu beweisen, daß die bestehenden Gesetze vollkommen ausreichten, und ließ dahe> Bernard als direkten Theilnehmer an den Mordthaten des 14. Jänner vor den Assisen auf Tod und Leben anklagen. Das hatte das Tuilerienkabtnet nicht erwartet : es berief seinen Gesandten, den Grafen Persigny ab, und ersetzte ihn gleich darauf durch den Herzog von Malakoff, dessen Ernennung in England so verblüffend wirkte, daß man im ersten Momente dort selbst in den allerhöchsten Sphären nicht ganz im Klaren darüber gewesen zu sein scheint, ob diese cigenthümliche Wahl nicht vielleicht als unmittelbare Vorbotin einer Kriegserklärung zu betrachten sei. Die beabsichtigte Einschüchterung verfehlte jedoch ihren Zweck vollkommen. Den Tag nach Peliffier's Ankunft in London sprach die Jury am 17. April Bernard frei. Die Mauern von Old-Bailey hallten wieder von einem Jubel, den der Lord Oberrichter vergeblich zu unterdrücken suchte: der Bertheidiger James, welcher die ganze Anklage geschickt in eine genaue Analysirung des"Staatsstreiches vom 2. December umzukehren gewußt, ward im Triumphe nach Hause geleitet; und die Regierung ließ nunmehr die subsidiaire Anklage wegen Verschwörung gegen Bernard, so wie Anfangs Juli die Anklagen gegen True- love,Tschorzewski undConsorten fallen,nahm auch den auf Alsopp's Arretirung gesetzten Preis zurück — da es auf der Hand lag, daß sie durch weitere gerichtliche Verfolgungen nur sich selber Schwierigkeiten daheim und nach außen hin bereiten könne. Es war klar, daß eine, in diesem Falle unvermeidliche Wiederholung der Scenen vom 17. April den Kaiser nur erbittern werde und selbst eine Verurtheilung der Jnquisiten zu einer kurzen Haft ihn eher unangenehm berühren, als günstig stimmen müsse. Allein auch in Paris fing man an einzusehen, daß man, da man die Allianz mit England doch einmal nicht entbehren konnte, gelindere Seiten aufzuziehen habe und die Sache nicht weiter auf die Spitze treiben dürfe. Man mußte sich mit den Tories gut zu stellen suchen: denn Lord Derby und Dtsraeli saßen mit jedem Tage fester im Sattel, nachdem alle Welt zuerst ihrem Kabineté nur eine ganz ephemere Regierungsdauer prophezeit hatte. Schon ihr kräftiges Auftreten gegen Frankreich batte ihnen viele Sympathien erworben. Dazu kam, daß sie Anfangs April auch sämmtliche Forderungen England's in der „Ca- gliart"-Frage durchsetzten: Neapel ließ nicht nur die beiden lange verhafteten englischen Mechaniker Watt und Parkes frei; es gab auch das Fahrzeug los und entschädigte die beiden Ingenieure für den ausgestandenen Untersuchungearrest. Als völlig gesichert konnte man die Eristenz des Ministeriums ansehen, seit ein Hauptsturm, den die Feinde voreilig unternommen, glorreich abgeschlagen war. Die Regierung hatte dei harte Confiscationsproklamation, die Lord Caming am 19. März gegen die Oudenser erlassen, in einer eigenen Depesche mißbilligt. Darauf bin brachten am 10. Mai Lord Shastesbury im Oberhause und Cardwell bei den Gemeinen den Antrag auf ein Mißtrauensvotum gegen das Gouvernement ein, weil es das Ansehen der englischen Behörden in Asien geschwächt habe. Die Minister wandten jedoch das drohende Gewitter glücklich dadurch ab, daß Lord Ellenborough, der Chef des indischen Controlbureaus die ganze Verantwortlichkeit für den Vorgang auf sich allein nahm und von seinem Posten zurücktrat. In Folge davon ward Shaftesbury's Motion am 14. mit 176 gegen 158 Stimmen verworfen und diejenige Cardwell's nach achttägiger heißer Debatte in Voraussicht eines ähnlichen Votums des Unterhauses am 21. Mai von dem Antragsteller selber ohne Abstimmung aufgegeben. Gleichzeitig beobachteten Derby und Disraeli die kluge Politik, sich ohne allzugroße Zimperlichkeit auf die Liberalen zu stützen, die Palmerston etwas zu lange bei der Nase herumgezogen hatte, als daß sie seine Wiedereinsetzung in Amt und Würden besonders hätten herbeisehnen sollen. Wenn jemals, so bewährte sich jetzt das alte Paradoxon, daß die Tories, in ihrer Verlegenheit um Freunde und Anhänger, berufen sind, diejenigen Reformen in's Leben zu rufen, von denen die Whigs predigen so lange sie in der Opposition sind, die sie aber stets auf die lange Bank schieben, wenn sie auf den Schultern der unabhängigen Liberalen in die verschiedenen Ministerien eingezogen sind. Eine eben so weise Methode war es von dem Kabineté, die neue indische Bill, welche Disraeli auf dem Tisch des Hauses niedergelegt, als offene Frage zu behandeln und von vorne herein zu erklären, die Sache sei so complicirter Natur, daß die Regierung nur auf dem, bereits zu Palmerstons Zeit vo- tirten Princip, der Aufhebung der Compagnie bestände, im übrigen aber sich jedem Amendement, das die Majorität genehmige, fügen werde. In dieser Angelegenheit also war die Regierung absolut nicht zu fassen: die Spöttereien über ihren Mangel an ftaatsmännischer Initiative ließ sie eben in aller Seelenruhe über sich ergehen. So ging nicht nur eine ganze Reihe minder erheblicher freisinniger Maßregeln in Bezug auf Par- lamentsreform und auf eine rechtlichere Bertheilung der verhaßten Kirchensteuern durch, lauter Dinge, welche die Liberalen unter den Whigs nie hatten erreichen können- sondern es ward auch endlich, hauptsächlich durch Dtsraelis Entschiedenheit, die so lange vergebens angestrebte Zulassung der Israeliten in das Unterhaus eine Wahrheit. Im Grunde war die Sache bereits am 10. Mai abgemacht, wo das Unterhaus Baron Lionel Rothschild in eben diejenige Commission wählte, welche über die Abänderung des Parlamentseides zu berathen hatte, da er regelmäßig ernanntes Mitglied der Gemeinen sei und nur durch die gegenwärtige Fassung der