Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
148 Geschichte de- Jahres. fien Nacht gaben die Insurgenten selber den Punkt auf. Vier Tage daraus eroberte Whitelock Budaor nach einem blutigen Gefechte; zehn Meilen weiter auf der Straße nach Bareilly tödtete am 10. eine feindliche Kartätschenkugel Penny. Campbell selber besetzte am 1. Mai, nachdem er ein par Tage vorher sein Hauptquartier in Lucknow abgebrochen, ohne Kampf das wichtige Schahdschehanpur und rückte nach zweitägigem Kampfe am 7. in Bareilly ein. Am 26. occupirte er Jllahabad und am 13. Juni erfocht noch Sir Hope Grant bei Nawabgunge einen glciüzenden Sieg über einen 16,000 Mann starken Rebellentrupp. Damit waren die feindlichen Heeresmassen zersprengt: was noch übrig blieb, war ein kleiner Guerilla- und Parteigängerkrieg ; überdies stand der Beginn der Regenzeit vor der Thüre, die bis Anfangs November jede größere Campagne zur Unmöglichkeit stempelte. Erst mit dem Wiedereintritte der trockenen Saison kann Sir Colin an den letzten Pacificationsfeld- z u g gegen Oude und Centralindien denken, den er jedenfalls noch vor sich hat und dessen mehr oder minder große Blutigkeit zweifelsohne hauptsächlich v on dem Erfolge der Beruhigungsmaßregeln ab- hangen wird, welche die C i v il r e g i e r u n g inzwischen getroffen. Bis zur Einnahme Lucknow's hatte das reine Militärregime gewaltet: Hängen, Erschießen, besonders das Wegblasen don den Kanonen waren nicht nur alltägliche und maffenweis, sondern oft auch auf sehr leichtwiegende Beweise und auf den Befehl sehr untergeordneter Behörden hin angewandte Strafen gewesen. Die Dekrete des Generalgouverneurs, Lord Canning, welche den dabei nur zu häufig vorkommenden Akten der Willkür einigermaßen eine Schranke zu setzen und die Autorilät der Civilbeam- ten wieder dem rein soldatischen Verfahren zu substi- tuiren suchten, waren ohne wesentliche Wirkung geblieben : sie hatten nur den äußersten Zorn der, durch die Angst um Gut und Leben erbitterten Angloindier erregt und selbst im Mutterlande die bittersten Randglossen über die Schwäche des Generalgouverneurs hervorgerufen. In Delhi wurden schon am 18. November 1857 nach summarischem Verhöre 24 Mitglieder der sogenannten Königssamilie gehängt. Gegen den König selber, den nur sein hohes Greifen- alter vor einem ähnlichen Schicksal rettete, begann am 27. Jänner ein regelrechter Proceß. Die in Calcutta aufgesetzte 'Anklageakte beschuldigte den Exfürsten : er habe sich am 11. Mai 1857 zum souveränen Monarchen Ostindiens ausrufen lassen, sich der Stadt Delhi bemächtigt und Maßregeln zum Sturze der britischen Herrschaft ergriffen. Die Aussagen der vernommenen Zeugen stellten zwar unzweifelhaft heraus, daß Mahomed Bohadur Schah in eigner Person die Niedermetzelung europäischer Offiziere angeordnet hatte: trotzdem schleppte der Urtheilospruch sich so lange hin, daß der alte Mann erst im September zur endlichen Entscheidung seines Geschickes nach Calcutta abgeführt ward. Während der letzte Entscheidungskampf in den Straßen von Lucknow tobte, hatte Lord Canning sich, um dem Kriegsschauplätze näher zu sein, nach Allahabad, der Hauptstadt der Nordwestprovin- zen begeben. Von hier aus erließ er am 14. März jene Proklamation an das Volk von Oude, die gewissermaßen als das Programm für die Rückkehr zu den Grundsätzen einer regelrechten Justiz zu betrachten ist. Er versprach allen Aufständischen, mit alleiniger Ausnahme derer, die sich durch Meuchelmord befleckt, im Falle ungesäumter Unterwerfung eine Generalamnestie, wollte aber darunter nichts verstanden wissen, als Schonung der Ehre und des nackten Lebens: was Grund und Boden anbeträfe, so hätten alle Gutsherren und Erbpächter des Königreichs — bis auf sechs namhaft gemachte Zemindars und Talukdars, die sich durch ihre Anhänglichkeit an die Briten her- vorgethan — ihre ^igenthumörechte verwirkt und ibre Besitzungen vorläüsth als confiscirt anzusehen. Auch diese Proklamation übte wenig Einfluß auf den Verlauf der Insurrektion, da die mächtigen Feudalherren von Oude auf solche Bedingungen hin nicht die Waffen strecken mochten. Ueberdies konnte Canning die Androhung des Dokumentes auch gar nicht durchführen ; ja, dasselbe ward in Indien nicht einmal in seiner ursprünglichen Form, sondern in mehreren ganz verschiedenen Fassungen publicirt. Dies Schwanken, welches jede Wirkung des Aktenstückes aufhob, war die Folge davon, daß es — wie wir weiter unten sehen werden — in England zu einem parlamentarischen Parteimanöver benutzt ward, dessen heillose Con- sequenzen sich in Ostindien nur zu fühlbar machten und dem Generalgouverneur jede feste Haltung rauben mußten. Die Proklamation ward von den Tories, die mittlerweile an Palmerston's Stelle ans Ruder gelangt waren, ausgebeutet, um Canning loszuwerden: während umgekehrt die Anhänger der gestürzten Regierung die Mißbilligung des Dokumentes von Seiten des neuen Kabinetes zu dessen Entfernung brauchen wollten. So ging der Erlaß, der in Europa ungebürlich viel Lärm anstiftete, in Asien beinahe spurlos vorüber. Endlich schien für das britijch-ostin- discke Reich eine neue Zeit angebrochen mit jener Parlamentsakte vom 2. August, welche die o st i n d i s ch e Compagnie aufhob und der Krone die unmitelbare Herrschst über diese gewaltige Kolonie zuwandte. Unter großartigen Feierlichkeiten ward der betreffende Beschluß Montag, den 1. November 1858 in allen Hauptstädten Ostindiens verkündet. Ihn begleitete ein Erlaß der Königin, der Lord Canning zum Vicekönige I. M. ernannte und in einer Proklamation an die Fürsten, die Häuptlinge und das Volk von Ostindien die Basen des Pacifika- tionswerkes feststellte. „Keine Ausdehnung des gegenwärtigen Territorialbestandes der englischen Herrschaft ; keinerlei Einmischung in den Glauben der verschiedenen ReligionSgenossenschaften; Gleichberechti-