Evangélikus Élet, 2009. január-június (74. évfolyam, 1-26. szám)

2009-04-12 / 15. szám

6 « 2009- április 12. NÉMET OLDAL Evangélikus Élet D(5utscPi(s ho.“ Das Grab als Tor Zeichen der Versöhnung Über das Nagelkreuz von Coventry Es gibt Menschen, die gehen jeden Tag an das Grab derer, die sie geliebt haben. Das ist ihr einziger Halt. Da reden sie dann - mit dem Kind, das sie verloren haben, mit dem Mann, der geliebten Frau. Seit Jahrtausen­den begraben Menschen ihre Ange­hörigen. Manche Forscher meinen in diesem Bedürfnis den nahen Men­schen zu begraben, liege der Anfang aller menschlichen Kultur. Einiger der hervorragenden Bauwerke der Weltgeschichte sind Gräber - die Höhlengänge auf Malta, die Pyrami­den in Ägypten. Wir brauchen einen Platz für die Trauer, einen Ort, an dem man den Verlust festmachen kann. Auch wenn man weiß - hier ist der Mensch, den ich geliebt habe, sicher nicht. Aber man hat wenigstens einen Platz für die Trauer. In wichtigen Entscheidungssitua­tionen meines Lebens gehe ich an das Grab meines Vaters. Ich erinnere mich gut, wie wir ihn vor Jahren be­graben haben - mitten im Hochsom­mer. Und auf seinen Grabstein haben wir seinen persönlichen Lieblings- Buchstaben machen lassen. Das hier ist ein griechischer Buchstabe: Phi steht in der chrisüichen Zeichenspra­che für Liebe. Für ein großes weites Herz. Ein ganz großes Herz für an­dere. Das finde ich nicht mehr, wenn ich an sein Grab gehe und mir den­ke: „wo er nur jetzt ist?“ „Sterben ist für einen Christen ei­gentlich eine heitere Sache“, hatte er - vom Krebs gezeichnet - wenige Tage vor seinem Tod gesagt. Und ich sehe ihn heute noch vor mir, als er das Sektglas hob und mit uns anstieß. Nun, er hatte sein Leben gelebt. Randvoll. Glücklich. Überschwäng­lich bisweilen. Und er hatte es geliebt. Er war so einer, dem das Glück ir­gendwie auf den Fersen war. Oder war es umgekehrt, dass er dem Glück hartnäckig auf der Spur blieb? Jedenfalls wusste er, dass Glück am allermeisten mit Liebe zu tun hat. Und ich denke: Wo ist er nur jetzt. Hier ist er jedenfalls nicht. Darum geht es an Ostern. Um das Grab und um die Trauer und die Fra­ge: wo ist mein Mann, mein Kind, meine Frau, meine Mutter? Darum geht es an Ostern und darum, dass eine Frau, die Jesus ge­liebt hat ihn dort sucht. Maria heißt die Frau. Sie sitzt an einem frischen Grab und weint. Es ist ganz schwarz in ihr und sie hat das Gefühl, als könnte sie nie wieder lachen. Außer ihrem dumpfen Schmerz nimmt sie nichts mehr wahr. Sie hat eine Art Tunnelblick. Den Tunnelblick der Trauer. Sie glaubt, sie kann ihrer Trauer eine Adresse, ein Ziel geben, wenn sie zum Grab des Mannes geht, dem sie ihr Leben anvertraut hat, dessen Worte sie aufhorchen ließen und dem sie ihre Zukunft geschenkt hat. Der tote Mensch, den sie sucht, ist aber nicht dort. Die Toten, die wir liebten sind nicht im Grab. Was wir an den Gräbern finden ist ein Stein, ein Name vielleicht und die vermo­dernden Reste eines Körpers. Warum habt ihr ihn fortgenom­men? Wo habt ihr ihn hingelegt? fragt sie verzweifelt und wendet sich einer Gestalt zu, die hinter ihr steht. Sie glaubt, das ist der Gärtner. „Maria“, sagt diese Gestalt „Maria“ - Und die Art, wie der Mann ihren Namen sagt, kommt ihr unendlich vertraut vor: „Maria“. Den Menschen, den ich liebe, er­kenne ich unter Tausenden: an sei­nem Schritt, wenn er zur Türe her­einkommt, an seinen Bewegungen, an der Art, wie sich der Stoff anhört, den er ans einem Körper trägt, an der Atmosphäre, die er im Raum hinter­lässt und an der Art, wie er meinen Namen sagt. Maria erkennt Jesus. Sie will ihn umarmen. Umgreifen. Festhalten. Für einen kurzen Augenblick glaubt sie, es könne alles wieder werden wie früher. Halt mich nicht fest, sagt die Ge­stalt, die sie überall wieder erkennen würde. Geh lieber und erzähl es den anderen. Geh, und erzähl das, was du gesehen und gehört, gespürt und er­fahren hast den anderen. Und Maria, die Frau mit der un­endlichen Trauer, die Frau mit dem Tunnelblick des Schmerzes, sie rich­tet sich auf, sie hebt den Kopf, sie streckt den Körper, sie setzt sich in Bewegung und sie läuft in Win­deseile zu den Jüngern, die sich ein­gekerkert haben in ihrer Resignati­on. Sie wird zur ersten Zeugin der Auferstehung. Der Tod muss euch nicht schmerzen: das wird jetzt ihre Botschaft. Seitdem erzählen wir Christen diese und andere Geschichten von der Auferstehung, die einen Spalt für die Hoffnung öffnen. Seit zweitau­send Jahren erzählen wir uns diese Geschichten von dem Grab, in dem keiner mehr war. Seitdem sind Mil­lionen von Menschen in der Gewiss­heit gestorben, der Tod sei für einen Christen vielleicht doch eher eine heitere Sache. Ich habe keine Beweise dafür - nur einen verrückten Glauben. Ich glaube daran, dass das Grab nur ein Tor ist. ■ Johanna Haberer Professorin für Christliche Publizistik am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg Das Kreuz, das Symbol des Osterfe­stes, steht wie kein anderes für den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens. Gerade jetzt, am Karfrei­tag, rückt das Kreuz mehr in den Blickpunkt denn je. Auf der Abbil­dung ist ein Kreuz zu sehen, das sich von den landläufig bekannten Kreu­zen unterscheidet. Es ist - zunächst überraschend - aus drei mittelalter­lichen Zimmermannsnägeln gefer­tigt, wie sie auch im Kirchenbau verwendet wurden. Dieses Kreuz hat eine besondere Geschichte, für die wir uns in die englische Stadt Coventry in der Zeit des Zweiten Weltkrieges begeben. In der Nacht vom 14. zum 15. Novem­ber 1940 wurde die englische Stadt Coventry und ihre Kathedrale durch deutsche Bombenangriffe zerstört. Die Ruine der Kirche wurde kurz nach dem Angriff wieder als Gottes­dienstort verwendet. Drei auf den Kirchenboden heruntergestürzte Zimmermannsnägel wurden zu ei­nem provisorischen Kreuz zusam­mengestellt und auf dem Altar ange­bracht - das „Nagelkreuz“ entstand aus Ermangelung an Alternativen. Heute weist es weit über sich hinaus. Als Antwort auf die Zerstörung der Stadt und des Kirchengebäudes ließ der damalige Domprobst Ri­chard Howard die Worte „Father for­give“ - zu deutsch: „Vater vergib“ - in die Chorwand der Kirchenruine einmeißeln. Worte von Größe, da das Dativobjekt dieses Satzes ausge­spart ist. Wem Gott vergeben möge, gab man in Coventry nicht vor. Ho­ward formulierte somit nicht: Vater vergib ihnen, den Deutschen, denn sie haben unsere Kathedrale kaputt gebombt und Unrecht an uns Sünd­­losen begangen. Im Gegenteil: Der Domprobst ließ die Verstehenswei­te für das „ihnen und uns“ glei­chermaßen offen: Sie haben was falsch gemacht, aber vergessen wir nicht: wir ebenso! Und so stehen wir - Briten und Deutsche und über­haupt alle - letztlich doch ohne Unterschied als Sünder vor Gott und bedürfen seines Erbarmens und seiner Gnade. So lagen sie vor den Menschen des Jahres 1945: die Trümmer des Lan­des, der Städte, der Kirchen, der Dörfer, der Familien. Die Waffen schweigen, doch Armut, Leid, Trau­er, Verlust und Entbehrung halten weiter Einzug. Die grauenvolle Spur von Zerstörung und Schuld zieht sich eindrücklich durch Europa. Die Rui­nen lehren. Das Nagelkreuz beginnt in eine Zukunft zu weisen, die Ver­ständigung, Aussöhnung und Frie­densstiftung ermöglicht. Was wir schon gemeinsam haben. Das Nagelkreuz als Zeichen der Ver­söhnung, des Friedens und der Fein­desliebe verbindet die Kathedrale von Coventry mit vielen anderen Or­ten der Welt, wo Menschen sich der Aufgabe stellen, alte Gegensätze zu überbrücken und nach neuen Wegen in eine gemeinsame Zukunft zu suchen - in eine Zukunft, die Got­tes Zukunft ist. „Vater, vergib“ - die Inschrift in der Kathedrale von Co­ventry prägt heute die Liturgie des Nagelkreuzgebetes, das wie folgt lautet: Gott versöhnte in Christus die Welt mit ihm selber und rechnete ih­nen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns. So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ (2Kor 5,19-20) „Alle haben gesündigt und er­mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ (Röm 3,23) Und so beten wir: Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse — Vater, vergib. Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist - Vater, vergib. Die Besitz­gier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet - Vater, vergib. Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der Ande­ren - Vater, vergib. Unsere mangeln­de Teilnahme an der Not der Gefan­genen, Heimatlosen und Flüchtlin­gen - Vater, vergib. Die Entwürdi­gung von Frauen, Männern und Kindern durch sexuellen Missbrauch - Vater, vergib. Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu ver­trauen und nicht auf Dich - Vater, vergib. „Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem an­deren, wie Gott euch vergeben hat in Jesus Christus.“ (Eph 4,32)- Die Nagelkreuzgemeinschaft steht für Versöhnung, Friede, Ge­rechtigkeit. Sie blickt zurück auf den Zweiten Weltkrieg und deren tragische Folgen, Kirchen in vielen Ländern Europas erzählen heute ih­re Geschichte im Zeichen des Nagel­kreuzes. Zugleich blickt die Ge­meinschaft über ihren Entstehensho­rizont hinaus - auf alle Länder und alle Menschen, die vom Krieg, von Gewalt und Konfrontationen zur Versöhnung schreiten möchten. Sie blickt auf Neid, Gier, Missbrauch, Hochmut - das Gebet zeigte es ein­drucksvoll - und bringt all dies vor Gott. Ein Blick in die Nachbarschaft und in die weite Welt zeigt auch heu­te - wie einst am Ende des Zweiten Weltkrieges. Letzten Endes stehen wir alle als Sünder vor dem, der Mensch wurde und für unsere Sün­den gestorben ist. Wir bedürfen sei­nes Erbarmens - auch heute. ■ Holger Manke Weitere Informationen unter www.crossofnails.com und www.na­­gelkreuzgemeinschaft.de. T FOTO: THIBAUD ROTH

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