Ernst D. Petritsch: Ergänzungsband 10/1. Regesten der osmanischen Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv. Band 1: 1480-1574 (1991)

Einleitung

Regesten der osmanischen Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv 11 Ähnlichkeiten, doch bestehen dessenungeachtet ganz grundlegende Unterschiede zwi­schen den Ländern der Habsburger und jenen der Osmanen. Das Osmanische Reich war ein Militärstaat, in der jeder Provinzstatthalter zugleich militärische Funktionen in­nehatte, ein Staat, der auf Expansion ausgerichtet war, dessen Militärapparat rebellierte, wenn keine Eroberungen angeordnet wurden. Ganz anders strukturiert waren hingegen das Heilige Römische Reich und die Erblande der Habsburger, die dem Herrscher nur in äußerster Not sowie gegen allerlei Zugeständnisse finanzielle und militärische Mittel zur Verfügung stellten. Diese beiden so unterschiedlichen Mächte waren zu unmittelbaren Nachbarstaaten ge­worden, nachdem der ungarische König in der Schlacht bei Mohács ums Leben gekom­men war. Die osmanische Armee zog sich aus Ungam wieder zurück, ohne daß das Land in ihren Herrschaftsbereich direkt eingegliedert worden wäre; später wurde der Wojwode Johann Zápolya mit der Verwaltung der von ihnen eroberten Gebiete Un­garns betraut. Ferdinand sah nun die Zeit gekommen, aufgrund der bestehenden Erb­verträge zwischen Habsburgéin und Jagellonen die Herrschaft im Königreich Ungarn anzutreten. In Johann Zápolya, und nicht im Osmanensultan, sah Ferdinand seinen Hauptrivalen, obwohl er durch seine Gesandten, die er in dieser Angelegenheit an die Pforte schickte, sehr bald erfahren mußte, daß sich die Osmanen trotz des militärischen Rückzugs sehr wohl als die eigentlichen Herren von Ungarn betrachteten. Ferdinands Erbansprüche wurden mit der Begründung zurückgewiesen, Ludwig sei in einer Schlacht, noch dazu in einer verlorenen Schlacht, ums Leben gekommen. Diese beiden divergierenden Herrschaftsansprüche waren natürlich unvereinbar; nur konnten die Os­manen den ihrigen, beispielsweise im Jahr 1529, machtvoll untermauern, während Fer­dinands bescheidene militärische Kräfte dem Gegner durchwegs unterlegen waren. Johann Zápolya spielte unterdessen gegenüber den Vertretern des Heiligen Römischen Reichs recht geschickt die Rolle eines souveränen christlichen Fürsten. 1538 besaß er sogar die Unverfrorenheit, im Geheimvertrag von Großwardein Ferdinand im Falle sei­nes eigenen kinderlosen Todes die Nachfolge in Ungam zuzusichem. Als er 1540 starb, machte sich Ferdinand sogleich daran, das Erbe tatsächlich anzutreten, obwohl kurz zu­vor ein Sohn, Johann Sigismund Zápolya, der von den Osmanen stets nur „Stephan“ genannt wurde, zur Welt gekommen war. Jetzt konnten die Osmanen freilich nicht mehr länger tatenlos zusehen, daß Ungam ihrer Kontrolle entgleiten sollte. In einem großangelegten Feldzug stellten sie 1541 - aus ihrer Sicht — endgültige, klare Verhält­nisse her, woran sich in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten nichts Wesentliches ändern sollte; lediglich einzelne, wenngleich nicht unbedeutende Festungen wurden in den folgenden Jahren noch erobert: Gran, Stuhlweißenburg und Tata 1543, Visegrád, Nógrád und Hatvan 1544, Temesvár und Szolnok 1552, Szigetvár 1566. Für die ungarische Historiographie bedeutet das Jahr 1541 bis zum heutigen Tag eine wichtige Zäsur, nämlich die Dreiteilung des Königreichs Ungam — in das „königliche“, d. h. habsburgische Ungarn im Westen und Norden (vor allem die heutige Slowakei). — in das „eroberte“ Ungarn unter osmanischer Herrschaft, d. h. Zentralungam unter Führung eines Beylerbeyi, — in das tributpflichtige Vasallenfürstentum Siebenbürgen, das vorerst von Johann Si­gismund Zápolya bzw. seiner Mutter Isabella und ihren Ratgebern verwaltet wurde. Die weitaus tiefgreifendere Zäsur, als sie das Jahr 1541 bedeutet, stellt aber wohl das Jahr 1526 dar. Die Teilung des Königreichs Ungam wurde bereits damals eingeleitet und de facto auch durchgeführt, indem sowohl Ferdinand I. als auch Süleymän I. nicht auf ihre Hoheitsansprüche verzichten wollten. Das „eroberte“ Ungarn war auch von 1526 bis 1541 nicht mehr als ein Vasallenstaat gewesen. Nun aber wurde das „eroberte“ Land direkter osmanischer Verwaltung unterstellt, in einem Vasallitätsverhältnis ver-

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