Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)
Das Attentat von Sarajevo
75 sung, Princip sei tatsächlich am 25. Juh 1894 (und nicht am 25. Juni dieses Jahres) geboren, so daß er am 28. Juni 1914 das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Das Gericht stützte sich in dieser Hinsicht auf die Aussagen der Nana Princip, der Mutter des Attentäters, und auf den Pfarrer Bilbija in Grahovo. Ferner forderte die Staatsanwaltschaft für den 16jährigen Gymnasiasten Dragan Kalember und den 34jährigen Landarbeiter Blagoje Kerovié schweren Kerker statt Freispruches, für den 26jährigen Bäcker Mico Micic und den 28jährigen Landarbeiter Obren Milosevic statt Freispruches die Todesstrafe. Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft wurden zurückgewiesen 2). Für die fünf zum Tode Verurteilten, Danilo hie, Veljko Cubrilovic, Misko Jovanovié, Nedjo Kerovic und Jakov Miiovié wurden Gnadengesuche eingebracht3). Am 26. Jänner 1915 fand unter dem Vorsitz des Landeschef-Stell- vertreters Dr. Nikola Mandié4) eine Regierungskonferenz statt, in der einhellig beschlossen wurde, Danilo Ilié, Veljko Cubrilovic und Misko Jovanovic nicht, dagegen Nedjo Kerovic und Jakov Milovic zur Begnadigung vorzuschlagen. Im ABH liegt eine Kopie der Beschlußfassung der Sarajevoer Instanzen über die Gnadenwürdigkeit der zum Tode Verurteilten5). Der Gemeinsame Finanzminister Leo Bilinski unterbreitete am 18. Jänner 1915 Kaiser Franz Joseph einen Gnadenantrag für Nedjo Kerovic und Jakov Milovic6); analog den Vorschlägen aus Sarajevo empfahl er, es bei Ilié, Cu- brilovié und Jovanovié beim Urteil des Kreisgerichtes zu belassen. Der Kaiser berücksichtigte die dargelegten Argumente; die von Franz Joseph eigenhändig geschriebene Entscheidung lautete: „Ich sehe aus Gnade dem wegen Verbrechen des Hochverrates und der Mitschuld des 2) Mit Bericht vom 31. Oktober 1914 (ZI. 14.447) teilte die Landesregierung dem Gemeinsamen Finanzministerium mit, daß das Urteil des Kreisgerichtes gegen jene Angeklagten, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden (mit Ausnahme des Mitar Kerovié), in Rechtskraft getreten sei, nachdem die betreffenden Verurteilten auf die Einbringung eines Rechtsmittels verzichtet hätten (Abschrift im SAA). 3) Gnadengesuche lagen vor: von Pero R. und Ljubica Jovanovié für Mihajlo (Misko) Jovanovié, von Jovanka Cubrilovic für Veljko Cubrilovic und von Stoja Ilié für Danilo Ilié (HHStA Kabinettskanzlei ZI. 91/1915 und ABH GFM ZI. 95 Präs, von 1915 Jänner 21). 4) In dem für den Thronfolger bei seinem Besuch in Sarajevo vorbereiteten ,Sprechprogramm1 hieß es über Dr. Mandic: „Geb. in Trafnik, sub auspiciis imperatoris in Wien promoviert, stand im Sommer 1908 an der Spitze der Bewegung für die Annexion Bosniens und der Herzegowina, war wiederholt Präsident und Vizepräsident des Landtages. Sehr intelligent, der Reichsidee voll ergeben, eitel“ (SAA). Dr. Mandié war Führer der den Franziskanern nahestehenden Kroatenpartei. Rudolf Kiszling Die Kroaten (Graz - Köln 1956) 83 nannte ihn den „klügsten Politiker Bosniens“. Am 25. März 1914 wurde Mandié Landeschef-Stellvertreter, im September 1943 kroatischer Ministerpräsident, am 8. Juni 1945 von einem jugoslawischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und erschossen (Keesings Archiv der Gegenwart 15/1945 262). 5) ABH GFM ZI. 1953 Präs. BH von 1915 Jänner 18. 6) „Alleruntertänigster Vortrag betreffend das gegen Danüo Ilié, Veljko Cubrilovic, Mihajlo (Misko) Jovanovic, Nedjo Kerovié und Jakov Miiovié gefällte Todesurteil“ (ebenda ZI. 1955 Präs. BH/1914).