Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)

Die Attentäter der „Mlada Bosna”

20 die serbische] gegen die Regierung zu schreiben pflegt . . . der Erzbischof Stadler39) ist in den Händen seiner Umgebung und entschieden zu schwach, die Geister, die er selbst wachgerufen, bannen zu können . . Im Oktober 1912, als es zum ersten Balkankrieg kam, begeisterte der gemein­same Kampf der Balkanstaaten (Montenegro, Bulgarien, Serbien und Griechenland) und auch der Zusammenbruch der türkischen Herrschaft alle Südslawen, besonders ihre Jugendgruppen. Jugendliche Serben aus Bosnien und der Herzegowina gingen über die Grenze und traten als Freiwillige in die serbische und die montenegrinische Armee. Doch es kam auch zu Grenz­übertritten junger Mohammedaner, die der türkischen Armee zu Hilfe eilen wollten. Die Haltung der bosnischen Kroaten in ihrem Haß gegen Ungarn und ihrer Abneigung gegen die großserbische Bewegung war zwiespältig. Der Landeschef Potiorek sah sich genötigt festzustellen, es stünde außer Frage, „daß dermalen alle Kroaten in Kroatien, Dalmatien und Bosnien der Anschauung sei­en, die Dynastie und Österreich seien gegen sie und hätten sie an ihren Todfeind Un­garn ausgeliefert . . . Aus diesem Empfinden ist die Idee des Anschlusses an die süd- slavische Gemeinschaft entstanden, und wenn die Idee momentan noch nicht so allge­mein verbreitet ist, ... so ist sie doch auf dem besten Weg es zu werden . . . Die hier- ländigen Kroaten leisten dermalen allerdings der Regierung Heerfolge, allein sie tun es aus Gründen vorübergehender, weil persönlicher Natur, teils ihrer Minderheit wegen, die ohne festes Zusammenhalten mit den Moslims verloren wäre, nicht jedoch aus all­gemeiner innerer Überzeugung.“ Potiorek, Landeschef und Soldat, der Mann des strengen Kurses, fleht gera­dezu am Schluß seines Schreibens, „den königlichen Kommissär in Kroatien [Cuvaj] auszuwechseln“ und „dadurch die kroatische Volksseele zu entla­sten“40). Doch noch immer schwankten die bosnischen Kroaten. Beweis für ihre am­bivalente Haltung zu dieser Zeit ist ihr Ansuchen vom 11. November 1912, zusammen mit den Mohammedanern für Monarchie und Dynastie eine große Loyalitätskundgebung veranstalten zu dürfen. Sie unterblieb jedoch, und zwar auf „Drängen der politischen Behörden“41). 39) Joseph Stadler, Erzbischof von Vrh/Bosnien. Friedrich Funder über ihn: „.. . eine feurige Natur, dem Kaiserhaus und Österreich mit tiefer Überzeugung an­hängend, war er die Verkörperung des alten, treuen Kroatentums . ..“ (Vom Gestern ins Heute [Wien 1952] 251). 40) FZM Potiorek an Bilinski, 1912 Dezember 6, wiedergegeben bei Potiorek, Per­sönliche Vormerkungen (wie Anm. 38). 41) ABH Sarajevo, LR ZI. 5899 von 1912 Dezember 13; Meldung der k. u. k. Gene­ralstabsabt. d. 16. Korps, 1912 Dezember 6 Mostar.

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