Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)
Die Attentäter der „Mlada Bosna”
14 Mittelschüler, die nach dem Attentat in Strafuntersuchung kamen, standen im Genuß eines ,Prosvjeta‘-Stipendiums. Kaiser Franz Josef spendete 1910 bei seinem Aufenthalt in Bosnien 2000 Kronen in die Vereinskasse. Der Landtagsabgeordnete Vasilj Grdjic war 1914 Vereinssekretär, seit Jahren „vereinigte er in seiner Hand alle Vereinsagenden“12). Auch beim Attentat spielte er eine Rolle. Mit dem Ausbau serbischer Organisationen in den südslawischen Ländern der Monarchie, dem Einströmen serbischen Kapitals in die bosnische Wirtschaft, der Annexionskrise13), den kriegerischen Ereignissen auf dem Balkan14), der Attentatsserie in Kroatien15), vorher dem Attentatsversuch des Serben Zerajic auf den Landeschef Varesanin16) wurde die Lage an den bosnischen Mittelschulen immer prekärer. Schülerexzesse, großspurig Attentate genannt, häuften sich, die überaus leicht in ihrem Nationalstolz von kroatischen und tschechischen Lehrern verletzten serbischen Schüler warfen Tintenfässer, ohrfeigten ihre Professoren, wurden dann relegiert und landeten, von der ,Prosvjeta‘ betreut, auf Lehranstalten des serbischen Königreiches17), wo man ihnen entgegenkam und den Schulattentätern die Möglichkeit bot, als „Privatisten“ zwei Klassen in einem Jahr zu absolvieren. Die Schulen waren in Serbien unkomplizierter, auch leichter18), außerdem 12) Ebenda 26-28. 13) Vojislav Bogicevic Mlada Bosna (Sarajevo 1945): ,1908, nach der Annexion, nahmen die Schülerorganisationen einen ausgesprochen politischen Charakter an‘. 14) Cvetko Popovic in Sarajevski vidovdan 1914: ,Der Balkankrieg im Oktober 1912 trieb alles weiter. Die heldenhaften Siege der serbischen Armee waren für uns eine wahre nationale und revolutionäre Taufe. Unter Jubelrufen feierten wir die Siege der verbündeten Balkanstaaten, die Serbiens am meisten. Derartige Manifestationen gegen die Monarchie führten regelmäßig zu Zusammenstößen mit der Polizei. Der Balkankrieg trug dazu bei, daß in uns der Glaube, die Befreiung sei nahe, erwachte“. ls) 1912 verübten die Kroaten Jukic und Planinscak Attentate auf den königlichen Kommissar Cuvaj in Zagreb, später folgten Anschläge der Kroaten Stjepan Dojcic, Ja- kov Sefer und Rudolf Hercigonja. Princip und Cabrinovic, die Attentäter von 1914, waren Serben. 16) Nach der feierlichen Eröffnung des bosnisch-herzegowinischen Landtages am 15. Juni 1910 schoß der Student Bogdan Zerajic auf General Varesanin, traf ihn jedoch nicht, worauf er sich selbst richtete. Er konnte, wie es hieß, die ,Schande nicht ertragen“, die der Kaiser dem Land durch Gewährung einer Verfassung an tat. Dazu Veselin Maslesa Mlada Bosna (Sarajevo 1964): ,Für die bosnische Jugend war die Tat des Bogdan Zerajic eine Offenbarung . . . wenn es ihm auch nicht gelang, Varesanin zu töten, so gelang es ihm doch, Princip zu wecken“. 17) Ratko Parezanin in Mlada Bosna i prvi svetski rat (München 1974): ,Die Zusammenstöße mit den Direktoren der Gymnasien und anderer Mittelschulen, . . . sowie mit Lehrern verschärften sich. In allen Orten kam es zu häufigen Insulten und Ohrfeigen auf einzelne Mitglieder des Lehrkörpers und das ausschließlich über nationale Fragen. Die kleinen Attentate sind sehr charakteristisch für jene Psychose, in der sich die Generation von Zerajic, Princip und ihrer Kameraden befand“. Nur serbische Direktoren könnten bei serbischen Schülern Disziplin halten, war die Parole, womit man in aller Öffentlichkeit, besonders in der lokalen Presse, Lehrer anderer Nationalitäten zu eliminieren versuchte. ls) Der Schüler Parezanin (siehe Anm. 17) antwortete auf die Frage, weshalb er nach Serbien geflüchtet sei, er hätte in Mostar Schwierigkeiten in der Schule gehabt, sei in einigen Fächern durchgefallen, und, nachdem er gehört hatte, daß die Schulen in