Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)
Die Attentäter der „Mlada Bosna”
DIE ATTENTÄTER DER ,MLADA BOSNA* Zum Verständnis der in dieser Schrift besprochenen Dokumente bedarf es einer Übersicht über die politische Situation der von Österreich-Ungarn im Jahre 1878 okkupierten und 1908 annektierten Länder Bosnien und Herzegowina. Es bedarf ferner gewisser Hinweise auf die Einstellung jener Kreise, welche die Verantwortung für die Bluttat von Sarajevo auf sich nahmen. Das sind die halbwüchsigen Aktivisten der ,Mlada Bosna‘, welche die Tat vollbrachten und sich ihrer rühmten. Der Ausdruck ,Mlada Bosna* bezeichnet keinen bestimmten Verein, auch keine festgefügte Organisation. Unter dem Begriff Jung-Bosnien verstand man eine Jugendbewegung, in der es Schülergruppen und Bünde verschiedener Richtung gab: Verfechter großserbischer wie großkroatischer Ideen, Befürworter des serbischen wie auch des jugoslawischen Königsgedankens, aber auch Anhänger einer jugoslawischen Förderativ-Republik. Und schließlich gab es unter den Jugendlichen auch solche, die den Zusammenschluß aller Südslawen im Rahmen der Habsburger-Monarchie nicht abgelehnt hätten. Hatte doch einer, auf den die jungen Bosnier hörten, der Geologe und Ethnologe Jovan Cvijic, auch diese Möglichkeit zur Diskussion gestellt1). Über die Eigenverantwortlichkeit der jugendlichen Attentäter wird man noch lange streiten. Sie standen unter dem Einfluß revolutionärer Literaten, idealistischer Professoren, chauvinistischer Politiker, russischer Anarchisten, bezahlter Agenten, bewährter Komitadziführer, und im Hintergrund agierten verantwortungslose Offiziersverschwörer, die sie für die großserbische Sache als Werkzeug zu mißbrauchen suchten. Immer wird es Leute geben, die im Überschwang patriotischer Gefühle das Attentat von Sarajevo romantisieren und als Tyrannenmord hinstellen, andere wieder, die von der Anstiftung überzeugt sind und an die Aktivität der verbrecherischen Organisation .Vereinigung oder Tod“2) glauben. Im November 1908 hielt Prof. Cvijic in der Belgrader Universität einen vielbeachteten Vortrag, in dem er von zwei Lösungen des .serbischen Problems* sprach, entweder durch Österreich-Ungarn oder durch Serbien und Montenegro. Die Lösung durch Österreich-Ungarn könne erfolgen, wenn dieses den Dualismus aufgebe und im Süden ein großes südslawisches Reich schaffe, welches als Föderativstaat der Monarchie angegliedert werde. Manche serbischen Politiker wären dafür. Bedenke man aber die angestammte Antipathie des serbischen Volkes gegen alles, was österreichisch ist, habe diese Lösung wenig Wahrscheinlichkeit. Die andere Lösung müsse von Serbien ausgehen und könne nur mit Waffengewalt erfolgen. Darum müsse für die Schaffung eines mächtigen serbischen Heeres gesorgt werden (vertraulicher Bericht des k. u. k. Gesandten in Belgrad, 1908 November 26: HHStA PA I 776, Pers. 11/24). 2) .Ujedinjenje ili smrt* (auch .Schwarze Hand* = ,Crna ruka*).