Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)

I. Einleitung

24 Einleitung Satz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ wurde auf Grund der Meinung Kelsens, die er mit seinem Vorschlag über die Verfassungsgerichts­barkeit stützte, in die Verfassung nicht aufgenommen57). Manche Schwerpunktfragen, die bei der Verfassungswerdung im Jahre 1919/1920 eine Rolle gespielt haben, wurden im Laufe der österreichischen Ver­fassungsentwicklung gelöst. Sei es durch langlebige Kompromisse, sei es durch politische Junktimierungen, sei es durch echte, der Natur der Sache entsprechende Lösungen. Zu diesen letztgenannten zählte die Regelung der verfassungsrechtlichen Stellung Wiens. Im Jahre 1920 sah das B.-VG. vor, daß Wien durch übereinstimmende Landes­gesetze der beiden niederösterreichischen Landtagskurien zu einem selb­ständigen Bundesland werden würde. Diese übereinstimmenden Landes­gesetze wurden im Jahre 1921 erlassen und traten mit 1. Jänner 1922 in Wirksamkeit 58). Die Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1925 hat dieser Neuordnung durch Änderungen im Art. 2 Abs. 2 und der Art. 108 ff. Rechnung getragen. Die Finanzfrage, die im Art. 13 B.-VG. nur vorläufig gelöst wurde 59 60), wurde durch das Bundesverfassungsgesetz vom 3. März 1922, BGBl. Nr. 124, über die Regelung der finanziellen Beziehun­gen zwischen dem Bund und den Ländern neu geordnet und ist seit­dem im wesentlichen unverändert geblieben. Die Organisation der Verwaltung in den Ländern, einschließlich der Stellung der Gemeinden war eine Kernfrage im sozialdemokratischen Verfassungs­programm. Dort wurde sie unter dem Schlagwort „Demokratisierung der Verwaltung“ diskutierteo). Es ging hiebei um die Beseitigung der aus der monarchischen Rechtsordnung stammenden monokratisch eingerichte­ten Bezirksverwaltungsbehörden und ihre Ersetzung durch Selbstver­waltungseinrichtungen — den Orts- und Gebietsgemeinden. Dieses Pro­gramm fand sich in den Grundzügen in den Art. 115 ff. B.-VG. alte Fassung. Die Bundes-Verfassungsnovelle 1925 (§ 8 V.-ÜG. 1920 i. d. F. 1925) ließ es unangetastet, bestätigte hingegen vorläufig den durch das Reichsgesetz RGBl. Nr. 44/1868 geschaffenen Rechtszustand. Als man im Jahre 1962 die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden neu ordnete61), ließ man abermals die endgültige Stellung der Bezirksver­waltungsbehörden offen. Was die Ordnung des Schul-, Er- ziehungs- und Volksbildungswesens anging, so half man 57) Vgl. E r m a c o r a, a. a. O., S. 316, Anm. 7. 58) Vgl. diese Landesgesetze v. 29. Dez. 1921, Wi. LGB1. Nr. 153; n.ö. LGB1. Nr. 346. Sie ergingen auf Grund des Art. 114 B.-VG. i. d. F. 1920. 59) Dazu: Pfaundler, Der Finanzausgleich in Österreich, 1927, insb. S. 95 ff. 60) M e r k 1, Demokratische Reform der Verwaltung, Neue Wiener Tages­zeitung, 15. 2. 1921; Nochmals die Demokratisierung der Verwaltung, ebd. 17. 4. 1921, D e r s. Demokratie und Verwaltung, 1923. «i) Siehe B.-VG.-Novelle v. 12. Juli 1962, BGBl. Nr. 205.

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