Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .

69 wachsen sei, daß die Kabinettskonzipisten von den wichtigeren Arbeiten abgezogen würden, es daher zweier neuer Kräfte bedürfte; er schlug vor, von den drei Beamten, die im Kabinettsarchiv, das am 5. Oktober 1868 eingerichtet, mit eigenem unter einem Direktor stehenden Personal ver­sehen und dem Kabinettsdirektor untergeordnet worden war, beschäftigt waren, einen abzuziehen und dauernd in der Kanzlei zu verwenden und eine Arbeitskraft durch Ernennung zu beschaffen144a), tagsdarauf ge­nehmigte der Kaiser diese Anträge 14ä). Wir müssen nun zurückgreifen, um eine eigenartige Entwicklung dar­zustellen, welche zur Ausbildung eines „ungarischen Referate s“, auch „Referat in ungarischen Angelegenheiten“ ge­nannt, führte, dessen Träger wohl dem Kabinettsdirektor untergeordnet war, in seiner Funktion aber, wenn man von dem Rechte des Kabinetts­direktors, in allen Personalangelegenheiten dem Kaiser seine Anträge zu stellen, absieht, dem Kabinettsdirektor in allen ungarischen Angelegen­heiten gleichgestellt war. Diese Entwicklung setzt mit dem Jahre 1867 ein, in dessen Frühling der Ausgleich mit Ungarn geschlossen worden war; er hat sie ausgelöst. Am 21. Februar 1867 wurde der Hofrat der ungari­schen Hofkanzlei Stefan von Papay in die Kabinettskanzlei einberufen, in der er am 25. Februar seinen Dienst antrat. Für ihn wurde eine neue Kabinettssekretärsstelle systemisiert145a) und er übernahm sogleich alter­nierend mit Hofrat Genotte die Revision der für den Kaiser bestimmten Vortragsextrakte d. i. der dem Kaiser nebst den Originalen zu unterbrei­tenden Auszüge aus den Vorträgen der Zentralstellen und Hofstellen; er hatte überdies aber — und hier liegt der Ausgangspunkt des Referates „den ihm von Seiner Majestät allenfalls zugedachten besonderen Arbei­ten“, wie sich Kabinettsdirektor Braun in einer durch Papays Einschub veranlaßten Kurrende ausdrückt, zu obliegen146). Während Kabinettsse­kretäre nur, wenn sie den Kabinettsdirektor vertraten, mit dem Monar­chen in Berührung kamen, stand der Träger des ungarischen Referates in regelmäßigem dienstlichem Verkehr mit ihm. Es bildete sich diese Stel­lung um die Jahrhundertwende beinahe zu der eines Kabinettsdirektors in allen ungarischen Belangen aus. Er empfing unmittelbar die Aufträge des Kaisers, erstattete ihm mündlich Referate, mußte daher oft vor ihm erscheinen, stand in Durchführung der Befehle des Königs von Ungarn in unmittelbarem Verkehr mit den höchsten Würdenträgern und Persön­lichkeiten Ungarns und des Hofstaates; er und nicht der Kabinettsdirek­tor begleitete regelmäßig den Herrscher nach Budapest. Der Kabinetts­direktor Schießl bezeichnete ihn einmal 1907 richtig als „im unmittelbaren 144a) Näheres über das Kabinettsarchiv bei Reinöhl in Gesamtinventar, Bd. 2. S. 119. 14ä) Korr. 239 in Direktionsakt ZI. 2/1881. 145a) S. seine Biographie in Kapitel VII. 146) 1867 ohne Tagesangabe, Direktionsakt ZI. 2/1867.

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