Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)
I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .
60 den Akten des Kabinettes, so wie es ansonst bei Aufenthalten des Kaisers fern von Wien üblich war, unterbreitet und ein mit den Geschäften vertrauter Mann, der in der Kanzlei der Staatskonferenz tätige Hofsekretär Balthasar Spitko, zur Besorgung der Schreibarbeiten an das Hoflager abgesandt112 *). An der Spitze des Kabinettes stand damals der mehr als siebzigjährige Kabinettsdirektor Anton Zebay, den „eine mehrjährige, unheilbare Geisteskrankheit an der Erfüllung seiner Amtspflichten“ hinderte; der zu seiner Stellvertretung berufene Kabinettssekretär Varady zählte mehr als neunzig Jahre und war seit zwei Jahrzehnten erblindet lls). Der Kaiser betraute daher auf Antrag des Ministerrates am 25. Mai den früheren Staats- und Konferenzrat Josef Ritter von Pipit z, dem die Leitung der Kanzlei des Ministerrates oblag, mit der Leitung des Kabinettes 114). Am 23. Mai ging der Minister für Landeskultur, Handel und Gewerbe Anton Freiherr von Doblhoff als Vertreter des österreichischen Ministeriums nach Innsbruck. Neben verschiedenen Aufgaben, die er hier zu erfüllen hatte, oblag es ihm auch, den Anträgen des Ministerrates'und der einzelnen Minister die Genehmigung des Kaisers zu erwirken. Er eröffnete daher die vom Ministerrat einlangenden Sendungen und referierte Erzherzog Franz Karl hierüber mündlich, ab und zu nahm er auch schriftlich zu den einlangenden Vorträgen Stellung, worauf die Vorlage an den Kaiser erfolgte. Nach gefaßter, auf die ministeriellen Vorträge gesetzter Entschließung wurden Doblhoff sodann die Akten zur Rückleitung wieder eingehändigt. Doblhoff war auch zur Gegenzeichnung ermächtigt115 *). Als Freiherr von Wessenberg, der in Innsbruck weilte, sich endlich am 4. Juni bereit erklärte, das ihm angebotene Ministerium des Äußeren zu übernehmen U6), war das österreichische Ministerium durch zwei Minister am Hoflager vertreten. Das ungarische Ministerium vertrat in Innsbruck Fürst Paul Esterhazy117). Zu geordneter Arbeit kam das Kabinett erst wieder, als der zum kaiserlichen Stellvertreter in Österreich ernannte Erzherzog Johann am 25. Juni in Wien eintraf und Tags darauf die Ernennung des Erzherzogs Stephan zum Reichsverweser in Ungarn erfolgte. Die Ernennung eines ungarischen Reichsverwesers verringerte den Geschäftsgang zum Kabinett, da ihm nun112) Beschlüsse des Ministerrates vom 18. 5., vom Kaiser genehmigt 22. 5. MRProt. v. 18. 5. ZI. 871. Spitko reiste am 19. ab. MR ZI. 742, B. 736 c. 113) Votum Doblhoffs 21. 8., MR. ZI. 1672. 114) Vortrag des Ministerrates 19. 5. res. 25. 5. MR. ZI. 901. ns) MRProt. 22. 5. ZI. 957. Bericht Doblhoffs an den Ministerrat, Innsbruck, 27. 5. bei MRProt. 30. 5. ZI. 965. Vgl. auch F. Walter, Die Innsbrucker Mission des Handelsministers Anton Freiherrn v. Doblhoff Dier in MIÖG. 58. Bd; S. 506 ff. i*6) Doblhoff an Piliersdorf Innsbruck 4. 6., MR. ZI. 999, MRProt. 7. 6. ZI. 973. i’7) R. Kiszling, Die Revolution im Kaisertum Österreich 1848—1849, Wien 1918, Bd. 1, S. 65.