Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)
I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 1. Die Entwicklung eines Kabinettssekretariates zu Seiten des Herrschers
11 zeichnis zählt deren mehr als 3000 Stück 9). Daraus den Schluß zu ziehen, daß beide eigene Schreibkräfte hielten, erscheint gewagt. Für Joseph I. ist dies jedoch auf andere Weise bezeugt. Der Reichsvizekanzler Graf Schönborn berichtet nämlich dem Erzkanzler am 3. Mai 1711 — Joseph I. war am 17. April gestorben —, daß das kaiserliche Signet, mit dem die kaiserlichen Handbriefe gewöhnlich verschlossen wurden, nicht auf Veranstaltung des Erzkanzlers verfertigt, sondern „von dem kays. Cabinet besorgt und dorten privative gebraucht“ wurde, daher nicht abgefordert werden könne 10 *). Unter Kaiser Karl VI. ist es abermals ein Kammerdiener, Johann Theodor von Imbsen, der die Schreibgeschäfte des Kaisers versieht. 1703 war er als Kammerdiener in Karls Dienste getreten und ihm nach Spanien gefolgt. Zu Schreibdiensten scheint ihn Karl zu dieser Zeit noch nicht herangezogen zu haben, zumindest läßt sich dies nicht belegen u). Ebensowenig läßt sich der Beginn seiner Tätigkeit in Wien erfassen. Scheinbar 28. Juli 1716 wurde er zum „C a b i- netssecretarius“ ernannt. Am 20. Dezember 1720 wird er zum ersten Mal als „geheimer Cabinetssecretarius“ bezeichnet. Neben dieser Stellung war Imbsen auch in der österreichischen Hofkanzlei tätig, wo er — 28. Jänner 1717 — als Referendar auftaucht und 1727 zum Hofrat aufstieg. Hier bearbeitete er gemeinsam mit einer anderen Kraft die Haussachen und die Publica 12). Imbsen genoß in hervorragendem Maße das Vertrauen des Kaisers und wußte seine Stellung als Kabinettssekretär bald so auszubauen, daß Schönborn schon 1721 von ihm sagte, daß er, „wan ich es recht sagen soll, zu einem Canzlar über alle Canzleren auch Secretario über alle Secretarios durch die bey Kays. Mt. erworbene Confidenz ist worden, indeme, was sonsten nach jederzeitiger Observanz ahn die Stelle immediate verschlossen, es seye in Gutachten oder anderen wichtigen Materien geschickht worden, man demselben alles ganz offen zu weitherer Besorgung ahn die Behörden gehändigt“ 13). Darüber hinaus sind wir über Imbsens Wirken nur wenig unterrichtet, da die aus seiner Tätigkeit erwachsenen Geschäftsstücke — von wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht überliefert sind. Es läßt sich nur feststel9) Außzug und Vormerkung deren Kays. Leopoldinische- und Josephini- schen Brieffschaften und Schrifften. Verfaßt 28. 1. bis 20. 9. 1715 von Johann Theodor von Imbsen und Hofrat v. Schickh. Familienakten, Kart. 105. i») MEA., Korrespondenz Fasz. 92. 11) Die Abteilung Spanien, Hofkorrespondenz und Varia wurden daraufhin durchgesehen, ebenso die Abteilung Familienkorrespondenz des habs.-lothr. Familienarchivs. 12) Hofkammerarchiv, Hoffinanz 3. 2. 1717 und Hofzahlamtsbücher, Bd. 4, fol. 86 v. S. Imbsens Lebenslauf in Kapitel VII, ferner Fellner-Kretschmayr, Bd. 3, S. 349. 10) Schönborn an den Reichsvizekanzler 1. 2. 1721, MEA, Korrespondenz, Fasz. 94.