Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn

22 J ánossy, Als das Gesetz in Kraft getreten war, hatte das Staatsarchiv den größten Anforderungen seit seinem Bestehen zu entsprechen. Obwohl seine Bestände vor den Kriegsoperationen im Lande nicht zerstreut, geborgen, sondern in seinem eigenen Gebäude auf bewahrt geblieben waren, mußten doch die Zehntausende der verworfenen Faszikel geordnet werden, um dieselben sobald als möglich der Forschung wieder zugänglich zu machen. Während der Belagerung der Hauptstadt war ein Lagerraum des Gebäudes vollkommen ausgebrannt, in welchem kleinere Privatarchive, verschiedene Schriftensammlungen und Registratur­bestände des Kultusministeriums aufbewahrt waren. Überdies brach ein Teil des vier­stöckigen Lagergebäudes infolge der Bombenangriffe zusammen, wobei Tausende von Faszikeln unter dem Schutt begraben wurden. Immerhin sind die großen Archive des Ständestaates und der modernen Zentralverwaltung sowie die mittelalterliche Urkundensammlung mehr oder weniger intakt geblieben. Somit hat das Staatsarchiv das stürmische Jahr 1945 mit verhältnismäßig wenig Verlust überstanden, dagegen fiel das Kriegsarchiv, welches in dem­selben Gebäude Unterkunft fand und vor Beginn der Belagerung der Hauptstadt nach Westen verfrachtet worden war, in der Nähe der ungarisch-steiermärkischen Grenze einem Bombenangriff zum Opfer. Nur wenige ältere Bestände sind erhalten geblieben, welche im Gebäude des Staatsarchivs der Obhut der Archivleitung anvertraut waren. Diese Erfahrungen beweisen also, daß nicht evakuierte Archive, wie das Staatsarchiv, ferner die Komitats- und kirchlichen Archive die Kriegsoperationen mit verhältnismäßig wenig Verlusten überstanden haben. Dagegen sind auf dem weiten Gebiete der Privatarchive unersetzliche Schäden zu verzeichnen, die aber weniger den Kriegsoperationen, als dem Umstand zuzuschreiben sind, daß sie mehr oder weniger ohne Obhut geblieben und infolge­dessen den Plünderungen der Bevölkerung zum Opfer gefallen waren. Wegen Mangel an Verkehrsmöglichkeiten waren die Anstrengungen des Staatsarchivs mit wenig Erfolg begleitet, nach Kriegsende die Rettungsarbeiten unverzüglich in Gang zu setzen. Später aber, nach Aufstellung eines Ministerialkommissariats für gefährdete Kulturgüter hatte das Staatsarchiv im Einvernehmen mit dieser Stelle viele wertvolle Bestände im Lande aufgefunden und in Sicherheit gebracht. Zu den Schwierigkeiten gehörte, daß die finanziellen Voraussetzungen für die Aufstellung eines Oberinspektorats erst im Fiskaljahr 1949 getroffen werden konnten. Unterdessen hat das Staatsarchiv den Landes­kataster der den zweiten Weltkrieg überlebten Archive verschiedener Kategorien anzulegen versucht, damit das Oberinspektorat bei Aufnahme seiner Tätigkeit auf Grund der genannten Vorarbeiten unverzüglich weitgehende Schutzmaßnahmen treffen könne. Mit den Bestimmungen des Archivgesetzes sind also die Grundlagen des ungarischen Archivwesens auf sämtliche Archivkategorien festgelegt. Es ist nun die Aufgabe der praktischen Durchführung, die an das Gesetz geknüpften Hoffnungen zu erfüllen: den Archiv­schutz und die Forschung zeitgemäß zu sichern und damit eine Belebung der ungarischen Geschichtsforschung zu fördern, deren Ergebnisse — im Hinblick auf das jahrhunderte­lange Zusammenleben — wohl auch für die Nachbarvölker nicht ohne Belehrung sein könnten.

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