Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn

13 Das Archivgesetz in Ungarn. Von Dionys Jánossy (Budapest). Das Archivwesen in Ungarn mag wohl auf eine elegische Vergangenheit zurückblicken. Um diese Feststellung zu erleuchten, müssen wir auf die Tatsache hinweisen, daß das Land im Mittelalter wie in der Neuzeit — infolge seiner geographischen Lage — beispiellose Schäden an historischen Denkmälern zu erleiden hatte. Dasselbe Los traf auch die Archive, deren erste Ansätze in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Das königliche Archiv wird das erstemal zur Zeit Béla IV. (1235—1270) aus dem Arpadenhause erwähnt. Die spärlichen Bestände desselben beschränkten sich lediglich auf die privat wirtschaftlichen Urkunden des Herrschers, hauptsächlich aber auf jene Konskriptionen, welche die rechtlichen Ver­bindlichkeiten der königlichen Völker bestimmten x). Erst aus der Zeit der Anjoukönige erübrigten uns verläßliche Daten über das Bestehen eines Regale Conservatorium, welches vorerst in Visegrád in der königlichen Kapelle, später aber — vermutlich zur Zeit Ludwigs des Großen — in der Ofner königlichen Festung untergebracht war. Dieses Regale Conser­vatorium hatte bereits die Rahmen des ursprünglichen königlichen Privatarchivs beträchtlich überschritten. Hier wurden nunmehr die Urkunden dynastischen und politischen Charakters, ferner die libri regii — in welche vorwiegend die in den Privilegialrechten des Herrschers radizierten Verfügungen eingetragen wurden — sowie auch die übrigen Archivalien der königlichen Kanzlei aufbewahrt. Im allgemeinen betrachtete man das königliche Archiv als das Privatarchiv des Herrschers, da die Urkunden staatsrechtlichen Charakters, welche das Verhältnis des Landes zur Krone regulierten, vorwiegend jene, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Landesbewohner betrafen, dem Palatin anvertraut waren. Der Palatin war vorerst der Palastgespan, d. h. der erste „familiaris“ des Herrschers2). Diese Stelle wurde bereits im 13. Jahrhundert als die erste Hofwürde betrachtet. Nach dem Tode des Palatins oblag es seinem Nachfolger, die staatsrechtlichen Urkunden zur Auf­bewahrung zu übernehmen. Im Mittelalter waren diese Urkunden zumeist in das Privat­archiv des Palatins einverleibt und daher war eine selbständige Entwicklung des eigentlichen Palatinalarchivs beträchtlich erschwert. Die ersten geordnet angelegten Depositorien der Rechte und Verbindlichkeiten der Landesbewohner im Mittelalter waren die sogenannten glaubwürdigen Orte (loca credibilia) der Domkapitel und Konvente, deren schriftkundige Mitglieder durch den Herrscher mit authentischen Siegeln versehen den Auftrag erhielten, gemeinverbindliche Urkunden aus­zustellen 3). Die juridische Bedeutung dieser loca credibilia betonen im Ständestaat Ungarn die zahllosen gesetzlichen Verfügungen, welche vom 13. Jahrhundert angefangen bis zur Zeit der Aufhebung derselben im 19. Jahrhundert ihre Tätigkeit regulierten 4). Auf die besondere Bedeutung der Privatarchive soll auch hierorts hingewiesen werden. Im Ständestaat war die sorgfältige Aufbewahrung der Urkunden über Donationen, Statu­J) Fekete Nagy Antal, Die Entwicklung der Archive, Archiv. Mitteilungen, Budapest, 1936, pag. 24 et sequ.; Szentpétery Imre, Ungar. Diplomatik, Budapest, 1920, pag. 92. 2) Szekfü Gyula, Servientes und Familiares, Akad. d. Wiss., Budapest, 1912, pag. 79. 3) Eckhart Franz, Die glaubwürdigen Orte in Ungarn im Mittelalter. M. I. Ö. G. IX. Erg. Bd., pag. 395; Szentpétery Imre, op. cit. pag. 121, Fekete Nagy Antal, op. eit. pag. 27—29. 4) Szabó István, Das Problem des ungarischen Archivschutzes. Sonderdruck aus den Archiv. Mitteilungen, Budapest, 1931; Papp László, Die Geschichte und Tätigkeit der glaubwürdigen Orte Ungarns in der Neuzeit, Budapest, 1936.

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