Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
I. Archiv-Wissenschaften - 10. Tihamér Vanyó (Pannonhalma): Das Archiv der Konsistorialkongregation in Rom und die kirchlichen Zustände Ungarns in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
Archiv der Konsistorialkongregat ion in Rom. 175 Vertreter aus dem Hochadel, aber nicht mehr in so hoher Zahl wie in den früheren Zeiten. Geistig sind sie alle hochgebildet und anspruchsvoll. Einige ragen sogar in Förderung, Aneignung und teils auch Kultivierung der Wissenschaften, in der Gründung von wissenschaftlichen Anstalten hoch empor, so z. B. die Grafen Karl Eszterházy und Ignaz Batthyány, der Baron Adam Patachich und Georg Klimó. Auf jedem bischöflichen Stuhl finden wir wenigstens einen großzügigen, baulustigen und opferwilligen Freund der bildenden Künste. Unsere heutigen Kathedralen, bischöflichen Paläste sind fast ausnahmslos in dieser Zeit gebaut worden, ebenso auch ein beträchtlicher Teil unserer Dorfkirchen. Die Prozesse der Bischofskandidaten heben fast bei jedem Präsentierten die hohe theologische Bildung und die Erfolge seiner akademischen Jahre hervor. Es bildet eine seltene Ausnahme, wenn der Spiritual des Wiener Pazmaneums, Ladislaus Verebély, anläßlich der Versetzung des Rozsnyóer Bischofs Baron Anton Révay auf den Stuhl von Nyitra sagt: „Doctrina quidem non pollet eminenti, sed prudentia supplet, et habet valde bona principia 1).i£ Wenn wir auch den Umstand in Betracht ziehen, daß über die Person der zu ernennenden Bischöfe zwischen dem Papst und dem Herrscher weder durch die Nuntiatur noch die österreichische Gesandtschaft in Rom eine Vereinbarung zustande kam (bzw. wurde bisher keine Spur von solcher weder in den Römer noch in den Wiener Archiven gefunden), dann nimmt es uns wunder, daß die weltanschaulichen und politischen Zeitströmungen unter den ungarischen Bischöfen nur so wenige Anhänger gefunden haben. Die Aufklärung hat im ungarischen Klerus — trotz ihres auf die geistig bedeutende Generation der Jahrhundertmitte ausgeübten Einflusses — fast keine Wurzeln gefaßt. Dagegen steht aber die Tatsache, daß der Geist der Aufklärung gerade in den Kreisen unseres Hochadels größere Eroberungen machte, daß er sich durch Tausende von Büchern gerade in ihre Bibliotheken einstahl, also in jene Umwelt, der die hervorragendsten Gestalten unseres Episkopats entstammten. Auf welche Art wir immer die Wirkungskräfte in den zwei Waagschalen gruppieren wollen, wenn wir auch zugunsten der kirchlichen Gesinnung der ausgezeichneten römischen Erziehung die ständischen Gesichtspunkte, das National- gefühl, den Gemeingeist unseres Episkopats und verhältnismäßige Zurückgebliebenheit unseres Vaterlandes auf kulturellem Gebiet, also auch betreffs der Zeitströmungen, hinzurechnen, läßt sich nach unserem Gefühl die entsprechende Erklärung und die proportionale Wirkungskraft für das glänzende Standhalten unseres Episkopats — besonders im josephinischem Sturm — noch immer nicht ermitteln 2). An der Spitze der ungarischen Bischöfe steht Kardinal-Fürstprimas Graf Josef Batthyány, Erzbischof von Esztergom (1776—99), „die Perle der ungarischen Magnaten“. Er war äußerlich ein unbedeutender Mann von niederer Gestalt, der aber innerlich mit den glänzendsten seelischen und geistigen Eigenschaften ausgestattet war. Scharfer, alles durchdringender Verstand, vorzügliche Gelehrtheit, Pflichtbewußtsein, Verantwortungsgefühl, unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl, diplomatische Weisheit und Geschicklichkeit, Wirklichkeitssinn, selbstlose Großmütigkeit und unerschrockene Treue zur Kirche sind seine hervorstechendsten Charakterzüge. Moralisch war er so unantastbar, daß selbst der Verfasser einer klerikalen Skandalchronik nichts Schlechteres über ihn sagen kann, als daß er sehr gern Schach spielte 3). 2) Proc. Bd. 180 (1780), 49 a. Über Révays Persönlichkeit setzen wir aus dem Prüfungsprozeß vor seiner Ernennung auf den Rozsnyóer Bischofstuhl einen Teil der Zeugenaussagen des Hofagenten Josef Körösztury hieher: „Dignissimum existimo, qui ad ecclesiam Rosnaviensem transferatur ... praesertim ... ob suavitatem et mansuetudinem in agendo, quae virtus in dioecesi Rosnav. haereticis repleta necessaria existimatur.“ Proc. Bd. 172 (1776), 24 b. 2) Vgl. Eckhart, a. a. O. 223. — Valjavec, Fritz: Zu den Richtlinien der ungarischen Aufklärungs- forschung. Ungarische Jahrbücher, 1932. 221. — Mitrofanov, a. a. O. II. 746. a) Proc. Bd. 172 (1776), 84 a. — Mitrofanov II. 747—50. — Marczali, a. a. O. I. 287.