Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1872
18 Erzbischof von Gran, als der König mit dem Vollzüge des Dekretes zögerte, über das ganze Reich das Jnterdict aus, so daß Andreas im Jahre 1233 die Aufhebung desselben durch neue, der Geistlichkeit gemachte Zugeständnisse zu erwirken genöthigt wurde. Dieß sind die Grundzüge der Rechte und Pflichten, welche Andreas II. in der goldenen Bulle vom Jahre 1222 und in dem dieselbe bestättigenden und ergänzenden Dekrete vom Jahre 1231 der Geistlichkeit und dem Adel Ungarns und Siebenbürgens verlieh. Sechshundert Jahre hindurch bildete die goldene Bulle die Grundfeste der ungarischen Verfassung; sechshundert Jahre hindurch mußten die ungarischen Könige auf die goldene Bulle den Krönungseid schwören. Eine Aufhebung und Einschränkung der Vorrechte des Adels, deren Ertheilung nicht aus dem freiwilligen Entschlüße des Königs hervorgegangen, wurde dadurch unmöglich gemacht. Papst Honorius III., dessen Klugheit das dem Reiche drohende Unheil voraussah, ermahnte in einem Schreiben die ungarischen Obergeistlichen dafür zu sorgen, daß der König, durch die Menge der Bittenden bewogen, nicht etwas zugestehe, was ihm und dem Lande zum Nachtheil gereichen könne. Sein Rath kam zu spät; der König hatte die goldene Bulle schon ausgestellt. Jetzt nach mehrhundertjähriger, geschichtlicher Erfahrung müssen wir anerkennen, daß die goldene Bulle eine jener Hauptursachen ist, welche zum Nachtheile der Monarchie die Krone ihrer Macht und ihres Ansehens fast gänzlich beraubte, durch die ausschließlichen Vorrechte des Adels die Entwickelung eines freien Gewerbestandes hinderte und dadurch die ungarische Nation in Bezug auf Bildung und Cultur tief unter die andern Völker der westeuropäischen Staaten gesetzt hat. Wie oft freute sich der Adel in der sturm- und drangvollen Zukunft über die Noth des Königs und verweigerte die Heeresfolge, wenn der Feind das Reich mit Feuer und Schwert schrecklich heimsuchte. Ging denn nicht durch die aristokratische Denkungsart der Großen des Reiches und durch ihren Unge- gehorsam gegen die königlichen Befehle die Schlacht am Schajo gegen die Mongolen und die Schlacht bei Mohács gegen die Türken verloren? Das goldene Privilegium, (der andreanische Freibrief 1224.) e. Die Uebergriffe des mächtigen Adels galten unter Andreas II. wirrvoller Regierung nicht nur der Krone, sondern waren auch nicht minder gegen die von Gehsa II, in den Süden des Landes berufene deutsche Colonie gerichtet. Wohl hatten die Deutschen in den 80 Jahren, seit sie im Lande waren, die Einöde urbar gemacht, Dörfer und Städte gebaut und die wilden Kumanen über die Grenze vertrieben, aber zur Förderung des Gedeihens und der innern Kraft fehlte ihnen die Zusammengehörigkeit, die Stärke eines Gemeinwesens. In einzelne Gaue getheilt, konnten sie den äußern Anmaßungen und Gewalt- thätigkeiten um so weniger widerstehen, als auch in ihrer eigenen Mitte nach dew Beispiele der ungarischen Adligen sich Mächtige erhoben, die auf ihre er