Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

34 In der Mannigfaltigkeit zeigt die Natur ihren Reichthum, in der Man­nigfaltigkeit der geistigen Bestrebungen, die aus der Volksseele hervorgehen und zu ihr zurückkehren liegt auch der Reichthum eines Volkes. Diese Mannig­faltigkeit kann aber nur dann sich einstellen, wenn die mannigfaltigsten Keime in das aufwachsende Geschlecht durch den Unterricht gepflanzt werden. Die Philologie ist immer nur Ein Keim und hat eine große Einseitigkeit auch in der Gelehrsamkeit zur Folge gehabt. Die einseitige Beschäftigung ge­rade mit der tobten Vergangenheit zieht aber von der Gegenwart ab; in der tobten Vergangenheit hat die Phantasie freien Spielraum und sie bekleidet ihre Lieblinge mit Farben, so glänzend, tote sie in Wirklichkeit nimmer gewesen sind. Diese Träume und die geträumte Farbenpracht lassen die Gegenwart dagegen matt und grau erscheinen; sie machen den Menschen, der doch einmal in der Gegenwart zu wirken berufen ist, gleichgültig, ja gemüthskrank, heimwehkrank und nehmen ihm die Lust 'im frischen Leben zu wirken. Der junge Mann, der das Gymnasium verläßt, wird nach dem beigefügten Lehrplane unterrichtet in Einer Sprache, seiner Muttersprache gewandt und sicher sein, schriftlich und mündlich sie beherrschen, ein gut Theil von dem Ge­dankenschatze seines Volkes, der in der Litteratur angehäuft ist, in sich ausge­nommen und sich dadurch bereichert haben; Wunsch und Fähigkeit mehr davon zu gewinnen werden vorhanden sein; der vaterländische Geist wird hierdurch und durch die genauere Kenntniß der vaterländischen Geschichte Vertiefung und Veredlung erfahren haben; der junge Mann wird mit Verständniß und Be­wußtsein in das politische Leben eintreten und mit selbstständigem Urtheile, un­abhängig von einseitigen Parteibestrebungen, frei von nebligen, sogenannten Idea­len die LebensbedingungM seines Volkes erkennen und das Gemeinwohl er­streben; als Richter, Geistlicher, Beamter, Lehrer wird er unwillkührlich aus dem Geiste seines Volkes heraus handeln und das treffen, was seinem Volke gemäß ist. Will er die wissenschaftliche Laufbahn auf der Universität verfolgen, so hat er für alle Studien (ausgenommen Theologie und alte Sprachen) die Grundlage, auf der er weiter bauen kann, während bisher nur für Theologie und altklassische Philologie die volle Grundlage und Anregung gegeben war. Das nach unfern Plane angeeignete Wissen ist aber auch für die Nicht- Studierenden kein todtes; der Landwirth, der Gewerbtrelbende, der Kaufmann, der Offizier haben Gelegenheit die erworbenen Kenntmffe anzuwenden und zu verwerthen. In den fremden Sprachen bedürfen sie nur der fortgesetzten Uebung, um sie auch zu sprechen und zu schreiben. Der neue Lehrplan wird die meisten Stände befriedigen und ihren Be- ^ dürfnissen genügen, während der alte den wenigsten genügte. Die Schule aber als eine Anstalt des Kreises muß wenn nicht allen, doch möglichst vielen dienen. ^

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