Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871
11 alle die Fäden zu zerreißen, welche in der Muttersprache das Seelenleben des Menschen an das, des ganzen Volkes knüpft? Wo man eben die bezeichnete „allgemeine Bildung" vernachlässigt in der Jugendbildung, da weckt und pflegt man nicht den Gemeingeist, da zerfällt das Volk in Kasten und Stände, die engherzig nur jeder sein Sonderinteresse im Auge halten. Der Adel verkommt zum Junkerthume;'die Gebildeten werden kümmerliche Gelehrte; der Bürger verkümmert zum Spießbürger; das Heer verwildert zur Soldateska. Der G emeing eist, die Liebe zum Vaterlande und seiner Nation zu wecken und zu nähren, das muß der leitende Gedanke sein jedes Schulmannes dem das allgemeine Wohl am Herzen liegt. Und wie steht es mit der Pflege dieses nationalen dieses Gemeingeistes in den Gymnasien ehedem lateinische Schulen genannt? „Daß sie mit seichter Gleichgültigkeit die Triebe vernachläßigten auf denen die Kraft und Würde des Menschen beruht, Liebe zu Gott, König und Vaterland" warf ihnen 1808 der Freiher von Stein vor und ein ausgezeichneter deutscher Schulmann (Heiland): „die Gymnasien sind allzulange einer abstracteu Wissenschaftlichkeit und allgemeinen Humanitätsbildung nachgegangen, bei der sie der besondern Bedingungen des wirklichen Lebens, wie dieselben in Vaterland und Kirche gegeben sind, vielfach vergessen haben. Wie man sich auf dem religiösen Gebiete mehr und mehr besinnt, daß es die Aufgabe der Gymnasien sein müsse, lebendige und bewußte Glieder der Kirche Christi zu erziehen, so ist auch alle sogenannte Menscheubildung ohne die klar hervortreteude Beziehung in welcher der Einzelne zu seinem bestimmten Vaterlande steht ohne allen Gehalt. Der in unfern Schulen zu bildende Knabe ist eben kein abstracter Mensch, sondern bestimmt durch Heimath, Nationalität, Religion. Ich muß mit wenigen Worten noch einige Schlagwörter beleuchten, die zum Verständnisse pädagogischer Fragen unerläßlich sind. Die gedankenlose Menge hat eilte Vorliebe für Schlagwörter, spricht sie nach, ohne ihnen auch nachzudenken. Die wichtigsten und schwierigsten Fragen werden oft mit solchen Schlagwörtern abgethan. Solche Schlagwörter sind formale, harmonische klassische und höhere Bildung. Was formale *) Bildung sei erörtert gut Schmidt in seiner Encyclopädie des gesummten Unterrichts und Erziehungswesens (B. 1. S. 74.) „Man redet seit Pestalozzi viel von dem Werthe der formalen Bildung und lange Zeit ist *) Der Erfinder des Begriffes „formale Bildung" ist der Königsberger Hamann; ausgeStlbet wurde der Begriff durch Pestalozzi, Schleiermacher u. «'