Ságvári Ágnes (szerk.): Budapest. Die Geschichte einer Hauptstadt (Budapest, 1974)
Pest-Buda von 1686 bis 1849
hauptstädtischen Politikern die günstigsten Voraussetzungen zum Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten aus der Provinz während der Pester Jahrmärkte, oder wenn sie sich in der Hauptstadt zur Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten auf hielten. Durch sie konnten die politischen Bewegungen in der Provinz organisiert werden. Eine noch viel wichtigere Rolle bei der Verlagerung des politischen Schwerpunkts nach Pest spielten die dort erscheinenden und von dort ins ganze Land versandten ungarischen politischen Tageszeitungen und Wochenblätter, deren erster namhafter Vertreter das von Lajos Kossuth, der führenden Persönlichkeit im Kampf um die nationale Unabhängigkeit und die bürgerliche Umgestaltung, gegründete und seit 1841 erscheinende Blatt „Pesti Hírlap“ war. Diese Zeitung mit der höchsten Auflage verbreitete im ganzen Land die Leitgedanken des Kampfes für die bürgerliche Umgestaltung, die nationale Freiheit und Unabhängigkeit. Nach dem Vorbild des „Pesti Hírlap“ gründeten die verschiedenen politischen Parteien und Sektionen der Reihe nach ihre eigenen Presseorgane, und diese zunehmende Vielfalt der Blätter war es letzten Endes, die der Stadt zu ihrer richtunggebenden Stellung als Zentrum der Meinungsbildung in der Landespolitik verhalf. Zweifellos bildeten nicht die Pester und Ofner Bürger die Basis der Bewegungen der Hauptstadt. Die Führung der politischen Kämpfe lag weiterhin in den Händen des Adels, Wegbereiter der fortschrittlichen Ideen war der mittlere Landadel bzw. die Intelligenz, die eine über das Reformprogramm hinausgehende gesellschaftliche Umwälzung anstrebte und aus Adels-, Bürger- und Plebejerschichten hervorgegangen war. An ihrer Spitze standen die jugendlichen Intellektuellen, die sich um Sándor Petőfi geschart hatten. Schauplatz der politischen Debatten waren nicht nur Presse, Landtag und Komitatsversammlungen oder die verschiedenen Parteilokale, sondern zum Beispiel auch das von Bürgern vielbesuchte Café Pilvax in der Pester Innenstadt, in dem die radikale Jugend sich mit leidenschaftlicher Rhetorik für ihre politische Überzeugung einsetzte. Fläufig ging diese Jugend auch auf die Straße, wo sie ihre Sympathie oder Antipathie gegenüber einzelnen Politikern in lärmenden Demonstrationen, Fackelzügen oder mit „Katzenmusik“ unmißverständlich kundtat. So konnten sich schließlich auch die Bürger der beiden Schwestemstädte einer Stellungnahme zu den Ereignissen, die sich vor ihren Augen abspielten, nicht länger entziehen. Mehr oder weniger eindeutig war die Einstellung der kapitalistischen Unternehmerschicht, deren wirtschaftliche Interessen durch zahlreiche gemeinsame Gründungen mit denen des Adels vielfach verflochten waren, die sich also schon früher den Reformbestrebungen des Adels angeschlossen hatte. Zwar war die aus Zunfthandwerkern und Krämern bestehende Kleinbürgerschicht, die sich durch die übermächtige Konkurrenz des österreichischen Gewerbes und Handels besonders benachteiligt fühlte, für die nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen gleichfalls sehr empfänglich, um so weniger konnte sie sich aber mit dem Reformprogramm befreunden, das u. a. die Auflösung der Zünfte, die Beseitigung der bisherigen Vorrechte und die Demokratisierung der Stadtverwaltung forderte. Bisher reichte das politische Interesse dieses Kleinbürgertums kaum über die Stadtgrenzen hinaus. Seine Sehnsucht richtete sich auch weiterhin auf die ungeschmälerte Beibehaltung der städtischen und folglich seiner eigenen Privilegien. Mit dem Fortschreiten des Gärungsprozesses mußte aber schließlich auch das Kleinbürgertum zu der Erkenntnis gelangen, daß die Wahrung seines Ansehens und die Behauptung der errungenen Machtposition nicht mehr allein von dem unter dem Druck der öffentlichen Meinung ohnedies zu Zugeständnissen gezwungenen städtischen Magistrat und dessen erstrebter Festigung abhing, sondern 37