Ságvári Ágnes (szerk.): Budapest. Die Geschichte einer Hauptstadt (Budapest, 1974)

Vorwort

der städtischen Bevölkerung zur Landbevölkerung 18 Prozent betrug, konzentrierte sich ein Drittel der insgesamt drei Millionen zählenden städtischen Bevölkerung in Budapest, der einzigen Stadt, die sich in europäischem Tempo entwickelte. Diese Zahl stieg in siebzig Jahren auf das Siebenfache. Durch den Vertrag von Versailles (Trianon) nach dem ersten Weltkrieg änderte sich das Verhältnis: 40 Prozent der früheren Einwohnerschaft Ungarns blieb innerhalb der heutigen Grenzen. Das proportionale Gewicht von Budapest ist wieder gewachsen: der Anteil an der Industrieproduktion des Landes stieg von 28 auf 50 Prozent, von den 7,8 Millionen der Bevölkerung des Landes lebten 1,2 Millionen in Budapest und eine weitere halbe Million in der Umgebung der Stadt. Obwohl das unmittelbare Ziel des Wiederaufbaus nach 1945 nicht über die Rekonstruk­tion der Industrie, Verkehrs- und Handelskapazität im Interesse einer möglichst schnellen ökonomischen Erstarkung hinausgehen konnte, sind dennoch viele Versuche zur Korrektur der Disproportionen unternommen worden. Eines der wichtigsten Ergebnisse war, daß eine weitere Übervölkerung der Innenbezirke von Budapest gestoppt wurde. In dreifach be­schleunigtem Entwicklungstempo urbanisieren sich heute die seit 1950 zu Groß-Buda­­pest zusammengezogenen Außenbezirke und der die Stadt umgebende Agglomerations­gürtel. Budapest ist jedoch nicht nur durch seine Lage und die Verwaltungsfunktionen zur Haupt­stadt geworden, sondern ebenso durch seine Aktivität. 1848 war hier das geistige Zentrum der bürgerlichen Revolution, die Budapester Arbeitervereine stellten die Grundlage für die Herausbildung der sozialdemokratischen Bewegung dar, der Rat der 500, die Regierung der Räterepublik, entwickelte sich aus dem Budapester Arbeiter- und Soldatenrat. Zur Zeit des fünfundzwanzigjährigen Horthy-Regimes blieb Budapest trotz aller Verfolgungen und Opfer bis zuletzt das Zentrum der revolutionären Arbeiterbewegung. In den politischen Kämpfen nach der Befreiung war die Hauptstadt indirekt, doch auch direkt Initiator der sozialistischen revolutionären Umgestaltung, sei es durch die Mit­wirkung der Budapester Arbeiterschaft bei der Bodenreform und der sozialistischen Um­gestaltung der Landwirtschaft, sei es durch den forcierten industriellen Wiederaufbau zur Schaffung des stabilen Forint. Die materiellen Opfer bei der sozialistischen Umgestaltung Ungarns und die Unterstützung durch Technik und Fachleute beweisen die Hilfsbereit­schaft der Hauptstadt. Die Geistesschaffenden, die zum größten Teil an den Hochschulen der Hauptstadt ausgebildet wurden, beleben mit ihrer Tätigkeit und ihrem befruchtenden Einfluß das künstlerische und kulturelle Leben des Landes. Von alldem wird offenkundig, daß Budapest bewußt die Aufgaben und die Verantwortung einer Hauptstadt übernimmt. Die Stadt ist stolz auf ihre historische und staatsbildende Funktion. Immer mehr Menschen beteiligen sich an den Forschungen der Stadtgeschichte und ihrer Populari­sierung. Die Demokratie, das Streben nach Kultur, das leidenschaftliche Bemühen um nationale Selbsterkenntnis der Bewohner der Hauptstadt sind in den letzten hundert Jahren und besonders seit der Räterepublik und der Bildung von Großbudapest die ausschlaggeben­den Faktoren beim Stadtaufbau. Immer mehr Vorschläge zur Lösung der kommunalen Probleme kommen aus der Bevölkerung. Der Budapester Bürger bewegt sich in der Stadt als Hausherr. Sieht er ein unschönes Gebäude, betritt er ein vernachlässigtes Restaurant, wird ein seiner Meinung nach stil­widriges Bauwerk errichtet, zeigt er offen seinen Unmut darüber. Der beißende Humor und die Selbstironie, mit denen er über seine Probleme und Erfolge spricht, sind ebenso ein 8

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