Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)
Peter Csendes: Stadt und Technik. Wissenschaftlicher Fortschritt und urbane Entwicklung
6 Stadterweiterung von 1890 erhebliche Ausgaben für Kanalisation, Straßen- und Brückenbauten. Der liberale Gemeinderat, in dem das traditionell-bürgerliche Element, das den Zenit seiner Bedeutung bereits überschritten hatte, eine wesentliche Rolle spielte, vollbrachte dabei eine erstaunliche Leistung. Die kritische Auseinandersetzung mit dem historistischen Gesamtkunstwerk Ringstraße, das unter den Aspekten der Repräsentation und der „Verschönerung“ im ausgehenden 19. Jahrhundert gesehen wurde, hat, wie Carl Schorske in pointierter Form darlegte, zu Neuem im Konzept urbaner Entwicklung geführt. Camillo Sitte stellte die Dominanz der Straße gegenüber den Plätzen, den ursprünglichen Stadt-Lebens-Räumen, in den Vordergrund seiner Kritik, Otto Wagner hingegen wurde vom Gedanken der necessitas, der Erfordernis, geleitet, als er seinen Entwurf eines Generalregulierungsplans entwickelte. Er betonte in seinem theoretischen Werk, dass die Baukunst, dass Architekt und Stadtplaner vor allem jenen gewaltigen Fortschritten in Technik und Naturwissenschaft Rechnung zu tragen hätten. Auf dieser Basis suchte er selbst nach neuen Formen: Der Zweck sollte diese Form bestimmen. Das waren Gedanken, die im Nutzbau bereits seit dem späten 18. Jahrhundert umgesetzt, freilich von der Öffentlichkeit in dieser ihrer Bedeutung kaum wahrgenommen worden waren. Spürbare Auswirkungen des Fortschritts und der intensivierten Urbanität zeitigten sich jedoch im Alltagsleben, auch wenn keineswegs die gesamte Bevölkerung ungeteilt zu deren Nutznießern geworden war. Für die Kommunalpolitik stellte angesichts dieses Wachstums, das vielfach von privatem Kapital getragen wurde, die Verbesserung der technischen und sozialen Infrastruktur die größte Herausforderung dar, denn diese wiesen gewaltige Defizite auf. Die weitgehend kleingewerblich strukturierte Wiener Wirtschaft, die im Wiener Gemeinderat gut vertreten war, hatte keinen nachhaltigen Bedarf angemeldet, die wachsenden Agglomerationen im Umland wurden erst allmählich auch für die Stadt zu einem Problem, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Regulierung der Flüsse und nicht zuletzt den Fragen des Verkehrs. Doch gerade dabei beließ es die Stadtverwaltung vorerst bei der Förderung privater Unternehmer, eine Politik, die auch im Bereich der Energieversorgung verfolgt wurde. Die städtischen Lebensformen hatten, gesellschafts- und kulturgeschichtlich bedingt, seit dem Mittelalter Veränderungen erfahren, die in der Sozialtopographie, im Bau- und Wohnstil, in der Organisation des Zusammenlebens, in den Arbeitsmöglichkeiten, im Freizeitverhalten ihren Ausdruck fanden. In Wien hatte - ähnlich wie in Prag - das Stadtbild eine barocke Prägung erhalten. Die städtische Umwelt und die städtische Infrastruktur hatten sich dagegen nur minimal verändert. Hausbrunnen und Sickergruben, fehlende Kanalisation, Typhus und Cholera, schlechte Überlandstraßen, enge, verschmutzte Gassen, Kopfsteinpflaster, mangelhafte Verkehrsmittel und Kleinstwohnungen bestimmten den Alltag. Es dauerte lang, ehe es der Naturwissenschaft gelang, die Ursachen vieler Übel zu ermitteln und