Manfried Rauchensteiner: Waffentreue – Die 12. Isonzoschlacht 1917

Felix Radax: Giftgas und das „Wunder von Karfreit“

verurteilen können, weshalb die Order gegeben wurde, auch diese Stellung zu vergasen.4 Das spezielle Verfahren, dessen es hierzu bedurfte, stammte von der Westfront und war von den Deutschen an den Isonzo gebracht worden. Es hieß Gaswerfen und bestand darin, von der eigenen Stellung am Rande des Tals aus das etwa 1.000 Meter entfernte Ziel mit einer Salve aus mehr als 800 Werferrohren schlagartig mit tödlichem Kampfgas zu überschütten. Die wenigen Verteidiger, die unter diesen Umständen noch dazu kamen, ihre Gasmasken aufzusetzen, mussten feststellen, dass es gegen einen Gasangriff von dieser Intensität keinen Schutz gab.5 Im Zusammenhang mit der Schlacht von Flitsch und Tóiméin und der raschen Einnahme des dahinterliegenden Karfreit von einem „Wunder“ zu sprechen, wie General der Infanterie Krauß, der Führer des Angriffs im nördlichen Abschnitt, es später in seinem Buch „Das Wunder von Karfreit“ tat, erscheint angesichts dieser Ereignisse fehl am Platz.6 Zwar mag der Titel des Werks die Erleichterung zum Ausdruck bringen, die bei der k. u. k. Armee im Gefolge der 12. Isonzoschlacht herrschte - nach elf verzweifelten Abwehrschlachten gegen übermächtig scheinende Italiener. Ein Wunder von Karfreit im militärischen Sinn habe es aber nie gegeben, betont der slowenische Lokalhistoriker Vasja Klavora. Vielmehr sei der Erfolg mithilfe des Gasschießens der Artillerie und der Werferattacke auf die Stellungen südlich von Flitsch gezielt und verlässlich vorbereitet worden.7 Des weiteren erklärt sich aus dem Giftgaseinsatz zu Beginn der Offensive auch ein beträchtlicher Teil des psychologischen Effekts, der die Schlacht im weiteren Verlauf zu einem „Wunder“ für die Mittelmächte und zu einem Debakel für die italienische Armee geraten ließ: Die unbekannten Gassorten (Blaukreuz, Grünkreuz), denen die Italiener mit ihren verhältnismäßig primitiven Masken schutzlos ausgeliefert waren, dürften wie kaum ein anderes Kriegsmittel den Eindruck erweckt haben, die Militärmaschinerie der Deutschen sei der eigenen hoffnungslos überlegen. Dies trug zu dem Chaos, dem ungeordneten Rückzug, den Desertionen und den enormen Verlusten durch Kriegsgefangene (annähernd 300.000 Mann) auf Seiten der Italiener bei. Alles Folgen eines zermürbenden und unpopulären Kriegs, die Krauß mit dem Titel „Das Wunder von Karfreit“ beinahe religiös verbrämte. 4 Klavora, Vasja: Blaukreuz. Die Isonzofront - Flitsch/Bovec 1915-1917. Klagenfurt-Laibach- Wien3.Aufl. 2003, S. 214. 5 Genau: 894 Rohre, die aber nicht alle zündeten. Vgl. dazu: Österr. Staatsarchiv, Kriegsarchiv, AOK/OpAbt ZI. 94086 (Karton 294). Bericht des Kommandeurs der (deutschen) Gastruppen an den Chef des Generalstabes des Feldheeres, über den durch das Pionier-Bataillon 35 am 24.10.17 im Flitscher Becken ausgef. Gaswerferangriff. 6 Krauß, Alfred: Das Wunder von Karfreit. Im besonderen der Durchbruch bei Flitsch und die Bezwingung des Tagliamento. München 1926 und München-Berlin 3. Aufl. 1938. 7 Klavora, Vasja: Schritte im Nebel. Die Isonzofront-Karfreit/Kobarid-Tolmein/Tolmin 1915— 1917. Klagenfurt-Ljubljana-Wien 1995, S. 290. 50

Next

/
Thumbnails
Contents