Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 7. (Budapest, 1982)
GOMBOS, Károly: Ein persischer Wandteppich aus dem 16. Jahrhundert
In der breiten, imposanten Bordüre erscheinen der himmlische Paradies, die Schar der Schutzengel und andere Himmelskräfte (Abb. 4). In der äusseren schmalen Borte strahlen am Himmel die fremde und die feindliche Sonne, um diese herum schweben Ungetüme. In den Medaillons reitet ein junger Mann auf einem Drachen, diesen liebevoll fütternd, der Drache schaut den Mann schmeichelhaft an, zwischen ihnen scheint ein freundschaftliches Verhältnis zu sein. Hinter dem Jüngling ist ein Zelt (Jurte) sichtbar. Die in den Blumenblättern lauernden Untiere symbolisieren zugleich die feindliche Welt. Uber dem Haupt des Schahs erscheint an beider Seiten der Riesenvogel Simurgh, der die persischen Könige beschirmt und schützt, er hilft den Schlangendrachen zu besiegen, da dieser Drache die Macht der Perser gefährdet. Mit der Darstellung des Simurgh-Vogels und Drachen entfernt sich der Künstler von der Wirklichkeit, und führt uns in die mythische Welt der Perser. Das Mittelfeld des Teppichs wird von drei Rahmenstreifen umfasst. Im inneren schmalen Streifen befinden sich vier mit Sonnenstrahlen geschmückte menschliche Gesichter (Zeichen der Sonne), Vögel, Hasen, Steinböcke, Löwen und Panther (Tiere des königlichen Wildgartens) und Jünglinge unter einem Baum lesend, über dem Haupt das Glück symbolisierende, sich ballende Wolken. Ähnliche Jünglinge mit schönem Gesicht, in der Hand ein Buch haltend (Abb. 5) sind von Sultan Muhammed am Anfang des 16. Jahrhunderts gemalt worden. 9 Im mittleren breiten Rahmenstreifen können wir 52 beflügelte Engel sehen, die sich zuzweit oder zuviert aufstellen, Tulpen pflücken (Blumen der Ewigkeit) oder den Pfau, den Vogel der Herrlichkeit, des Lichtes und der Glückseligkeit in der Hand halten; weiter nehmen sie Früchte und göttliche Getränke zu sich. Die beflügelten Engel sind im Orient die Symbole des Edenfrühlings und der Freuden. Auf unserem Teppich sind diese den göttlichen Charakter des Festmahles von Schah zu berufen. Der äusserste Streifen wurde stark beschädigt, doch kann man die mit Sonnenstrahlen geschmückten Gesichter erkennen, neben diesen die Untiere, in den Blumenblüten Raubtiere mit Löwenkopf, und in den wohlgeformten Medaillons beflügelte Jünglinge auf Drachen sitzend. Das Gesicht und die Bekleidung gehören zum Typ von Turan (altertümlicher Name des Wüstengebietes neben dem Kaspischen Meer), Land der Türken, Urfeinde der Perser. Dieses Gebiet gehört schon zur fremden und feindlichen Welt. In der künstlerischen Manifestation unseres Perserteppichs zeigt sich die Urquelle Firdausi's „Schahname" (Buch der Könige). 10 Der grosse persische Dichter (ca 935—1020) gab für alle Zeiten gültige Zusammenfassung über die lyrische Sagenwelt der persischen Geschichte, und dies inspirierte auch die darstellende Kunst der folgenden Jahrhunderte. Die Sonne bedeutet das Licht (das Gute und den Schöpfer: Ahumar Mazda) gegenüber die Verkörperung der Finsternis und des Bösen: Ahriman. Die Singvögel über dem Haupt des Schahs erblicken mit dem Pfau zusammen erstmalig die Sonne; die sieben Singvögel sind ebenfalls Symbole. Das edle Ross auf unserem Teppich symbolisiert das ritterliche Leben, und ruft den Wunderhengst Rakhs wach, der nicht nur sich selbst, sondern auch seinen schlafenden Herrn Rüstern, den Helden des Schahnames von Löwen verteidigt. Obzwar unser Wandteppich die Vergangenheit und Weltanschauung der Perser darstellt, sind wir dessen sicher, dass das Kunstwerk von Aserbaidschaner Künstlern in Tebriz hergestellt wurde. 11