Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 6. (Budapest, 1979)

BENKER, Gertrud: Ein volkstümliches Besteck aus Tirol

oder punziert. Sowohl die Formgebung der Gabelzinken und der Zwingen als auch die der Beinschalen ist nahezu identisch. Nun ein Vergleich der Bildinhalte: Innsbruck Inv. Nr. 1621 (=111): Eine der beiden Gabeln zeigt den gleichen Ma­donnentypus wie die Budapester Gabel A; darunter steht: MARIA (Abb. 6). Wenn wir nun die zweite Gabel (B) aus dem Budapester Besteck vornehmen, so sehen wir auf einer Griffschale ein einstöckiges Steinhaus mit Tür auf der Giebelseite in stilisierter Weise dargestellt. Es folgt nach rechts eine weibliche Figur in Trachtenkleidung mit Schürze; sie scheint mit einer Geste der Hände auf einen grossen Tisch zu ihrer Seite hinzu­weisen. Rechts neben diesem ist ein Baum angedeutet (Abb. 3). Dieses Bild hat eine Parallele zu den Innsbrucker Bestecken Inv. Nr. 1617 (=1) und Inv. Nr. 12 465 (=11): ein ähnliches Haus links, Bäume angedeutet. — Ein weiteres Besteck, Inv. Nr. F 586b (=IV), weist in der Messerbe­schalung ein Bild auf, das dem der Buda­pester Gabel B ähnlich ist: hinter dem Tisch sitzt in diesem Falle ein Mann vor seinem Krug, in den die neben dem Tisch stehende Frau eingiesst. Es scheint, als sei diese Ausführung des Tischmotivs von den vier Darstellungen die vollkommenste (Abb. 7). Die Motive Haus — Tisch — Paar bzw. Frau und Baum geben uns einen Hinweis auf den Funktionsbezug der Ge­rätes: Es wurde als sogenannte Minnegabe (Minne ist das mittelhochdeutsche Wort für Liebe) verschenkt, entweder von der Braut an den Bräutigam während der Verlobungszeit oder als Hochzeitsgabe für den Mann von einem Verwandten oder Freund. Dies bekunden auch die übrigen Bildgravuren: Auf dem Griff des Buda­pester Streichers (Abb. 3 C) ist über einer Blume ein korbartiger Aufbau gegeben, der zwei flammende Herzen beinhaltet. Das Herz als Triebkraft des Lebens und Sitz der Seele ist seit dem 17. Jahrhundert in Symboldarstellungen der Volkskunst zu finden. 6 Es steht als Zeichen für den ganzen Menschen und bedeutet in flam­mendem Zustand der Liebenden schlecht­hin. Der Korb — im volkstümlichen Be­reich häufig als Liege für das Jesuskind, als schützendes Gefäss für wertvollen In­halt gebraucht — soll hier wohl auch seine apotropäische Kraft (Flechtwerk!) an den beiden einander verbundenen Menschen erweisen. Das Motiv der flammenden Her­zen mit Korb wird in gleicher Weise auf dem Streicher des Innsbrucker Bestecks Inv. Nr. 1621 (=111) aufgegriffen. Eine Szene, die beim Budapester Be­steck nicht vorkommt, aber auf die ge­meinsame Tätigkeit von Braut- bzw. Ehe­leuten hinweist, ist bei I und II gegeben: Ein bäuerliches Liebespaar sitzt auf der Wiese, der Mann mit einer Sense, die Frau mit einem Heurechen versehen (vgl. Abb. 5). Da sich beide Darstellungen auf Mes­sergriffen finden, besteht immerhin die Möglichkeit, dass das fehlende Budapester Messer in solcher Art graviert war. Auf allen Beinblättchen sind florale Dekorationen angebracht, sei es als ara­beskenartiges Ornament, sei es als stark stilisierte Blume mit radialem Blütenstand oder als kugelige Rosenknospe (vgl. Abb. 4). Diese Bildgestalten sind seit jeher Lieb­lingsthema der Volkskunst, da sie sich leicht jedem Umriss einfügen lassen und auch formal nicht schwierig zu bewältigen sind. Dass eine assoziative Beziehung zum Brauchtum der Liebeswerbung, der Le­bens- und Wachstumskraft besteht (wie auch beim Baum), ist anzunehmen, wenn 4. FLORALE MOTIVE UND INSCHRIFTEN, DIE AUF FUNKTION ALS MINNEGABE HINWEISEN

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