Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 2. (Budapest, 1974)
Le Musée des Arts Décoratifs en 1972
seum wie jedes beliebige Museum über die Objekte hinausgehend, Entwürfe, Musterstücke, Prototypen sammeln soll, wo es die quantitativen Grenzen des Sammeins bei den Ausmassen der heutigen Objektinvasion ziehen soll usw. Es geht vielmehr auch darum — und das ist nicht mehr eine Frage der Kunsthandwerksgeschichte — was überhaupt als Kunstwerk aufgrund der ästhetischen Kriterien angesprochen werden kann? Und dabei darf das Selektionsprinzip nicht der Erscheinung untergeordnet werden — der man eher soziologisch beikommen könnte —, dass als Kunstwerk gilt, was als solches ausgestellt, wird. Die ästhetischen Kriterien können durch Übereinstimmung innerhalb kleineren fachlichen oder nichtfachlichen Gruppen nicht ersetzt werden. Die Stellung der Frage und noch mehr ihre Beantwortung ist darüber hinausgewachsen, was die angewandte Kunstgeschichte, die Kritik, erschöpfend behandeln könnte, weil die Frage, wenn auch nur vorübergehend, immer mehr eine theoretische Forschung beansprucht. Mich der hier sich bietenden Gelengenheit bedienend, möchte ich auf einen Forschungsbereich hinweisen, der immer unerlässlicher wird, sofern wir uns einen Überblick über die zeitgenössiche Kunst verschaffen wollen. Es handelt sich um gattungsgeschichtliche Forschungen. Die Verallgemeinerung von Karl Marx von der ungleichmässigen Entwicklung der Kunstzweige wird oft zitiert, doch in Bezug auf die bildenden Künste wird eine tiefere, vergleichende Forschung meistens nur innerhalb des einen oder anderen Kunstzweiges, Themenkreises, unter Umständen einer Technik und im Längsschnitt einer ziemlich geschlossenen Periode betrieben. Die gattungsgeschichtliche Erforschung der Porträtkunst, der Historienoder Landschaftsmalerei einer gegebenen Epoche oder mehrerer aufeinander folgender Perioden, die Untersuchung der Geschichte eines Handwerkes bleibt nach wie vor wichtig. Doch eine immer grössere Aufmerksamkeit muss den Zusammenhängen, den gegenseitigen Beeinflussungen gewidmet werden mit besonderer Rücksicht auf das Tempo, in dem sich die Wandlungen der Gattungen und ihre Wechselwirkungen in unserer Zeit ankündigen. Die Umwelt, die „zweite Natur" gelangt zu einer immer grösseren Bedeutung. Immer weitere Gebiete werden vom Anspruch der künstlerischen Planung ergriffen, die Ästhetik der Umgebung übt — wenn auch indirekt — eine immer grössere gefühlsmässige und psychische Wirkung auf das Bewusstsein aus. Eine Ästhetik der Umgebung hat es freilich immer gegeben, doch ging sie meist in der Ästhetik der Kunst und der Natur auf. Auch in ihrer heutigen Erscheinung kann letztlich von einem hohen Niveau der natürlichen Ästhetik — jener der „zweiten Natur" — gesprochen werden, doch auch das ermahnt uns, dass man mit ihrer relativen Selbständigkeit rechnen muss, mit anderen Worten, mit dem Zusammenhang der Umweltästhetik, mit der Ästhetik der Natur, der Gesellschaft und der Kunst, aber auch mit ihrem Anderssein muss gerechnet werden. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Eigentümlichkeiten der Umweltästhetik konzentrieren, ihre Eigenschaften herausstellen und umreissen, gelingt es uns, meiner Meinung nach, eher zu einem besseren Verständnis der gattungsgeschichtlicher Zusammenhänge der zeitgenössischen Kunst zu gelangen und in der Hauptsache klarer zu erkennen, wieweit es sich um Oberflächenerscheinungen und wieweit es sich um wesentliche Komponente handelt. Man erlebt es Tag für Tag in welch beschleunigtem Tempo sich die visuell wahrnehmbare Umwelt verändert, als eine Folge der Möglichkeiten der historisch214