Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 1. (Budapest, 1973)

KISS, Ákos: Die Entwicklung der kunstgewerblichen Bewegungen und das Entstehen der Kunstgewerbemuseen

ÁKOS KISS DIE ENTWICKLUNG DER KUNSTGEWERBLICHEN BEWEGUNGEN UND DAS ENTSTEHEN DER KUNSTGEWERBEMUSEEN Die auffallende Eigenschaft des kulturellen und künstlerischen Antlitzes der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine mehrstimmige Simultanität der aus historischen Formen entstandenen Stile. Die neuzeitigen Erneuerungen der historischen Stile begannen im 18. Jahrhundert mit dem Aufblühen der Gotik in England, wo dieser Stil in der Bau- und Zierkunst praktisch nie erloschen war. 1 In der Epoche der Romantik wirkte dieser einst­weilen englisch-gotische Stil fortlaufend als legierender Faktor. In der zweiten Hälfte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts meldete sich bald als Folge der französischen Restaura­tion — also ab gegen 1820 — mit dem Neuaufblühen der Formen des französischen Ro­koko, neben dem Klassizismus noch ein dritter Faktor. Der Klassizismus selbst war an sich schon nicht als eine aus einer einzigen Quelle schöpfende, organische Entwicklung zu betrachten; den Stil Louis XVI hat der republikanische Puritanismus der grossen Re­volution mit abweichender Richtung vereinfacht. Die Formsprache des hauptsächlich durch Percier und Fontaine geschaffenen Empirestils ernährte sich nicht nur aus dem bisherigen traditionellen Antik-Klassizisieren, sondern auch aus den im 18. Jahrhundert als Offenbarung wirkenden archäologischen Musterbuch-Erlebnissen von Pompei und Hercu­laneum, desweiteren aus Element-Systemen der ägyptischen, ja sogar etruskfschen Orna­mentik. Seit den 1830-er Jahren verlangte ausserdem auch der italienischen Trecento sei­nen Anteil in der Formsprache der Romantik; sodann erschienen neoromanischen, ja sogar byzantinische Elemente in den Bau- und Zierkünsten. Dieses bereits synthetische Bild wird nebst der Vergangenheit durch die Suche nach Ferne und Exotikum recht bald mit Chinoi­serie, seit der Präromantik aber auch mit japanischen, indischen und islamischen Elemen­ten bereichert. Die bis dahin unerhört zusammengesetzten, aufeinandergestauten und sich dann aufs neue legierenden Stilparallele konnten sich nur bei einem hohen historischen Bewusstsein der Gesellschaft gestalten. Bei dem jungen Goethe erscheint schon in seiner präromantischen Periode das Historikum ausgeprägter, als bei allen anderen u.zw. in den Spannungen zwi­schen der Anpassung der Kunst der Vergangenheit zu den Ansprüchen der Gegenwart. 2 Die Zusammenhänge zwischen der Kultur, seinem Zeitalter und der kulturellen Erbschaft der Vergangenheit hat der deutsche Denkerkoloss meisterhaft geschildert, doch finden wir jene Gedanken, die das Bewusstsein der Kunstgewerben zur Neugestaltung erweckten, erstmalig in den Bewegungen der englischen Gotik. 7

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