Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 1. (Budapest, 1973)
RUZSA, György: Zur Kunst der ungarischen Wandteppiche im 20. Jahrhundert
mit Anspruch auf Vollständigkeit zu untersuchen, ohne seine künstlerischen Ergebnisse zu berücksichtigen. Die Angaben über die Tätigkeit der Gödöllöer Künstlerkolonie sind lückenhaft. Nicht selten ist es bisher vorgekommen, dass man hierüber einander widersprechende Fakten und völlig entgegengesetzte Meinungen lesen konnte. Unter den Autoren der umfangreichen und zusammenfassenden Arbeiten wird das Gödöllöer Wirken von Elek Petrovics sehr positiv eingeschätzt, von István Genthon hingegen wird es entschieden abgelehnt:' Mehrere Verfasser wiederum äussern sich vorsichtig und mit Zurückhaltung/' Auch die gleichzeitigen Kritiken zeigen starke Abweichungen. Von einigen Kunstkritikern wird das Schaffen der Künstlerkolonie ziemlich hart beurteilt (Géza Lengyel), mitunter mischt sich hierein sogar beissender Spott (György Bölöni), doch von vielen wird es auch mit Anerkennung bedacht. Eines jedenfalls geht aus den zahlreichen Kritiken hervor, nämlich dass die erste Ausstellung der Gödöllöer im Jahre 1909 grossen staub aufwirbelte. 5 Worin mag die Ursache dafür liegen, dass auf der einen Seite bis zum heutigen Tage eine heftige Ablehnung oder auf anderen Seite eine begeisterte Glorifizierung beobachtet werden kann? Wenn auch auf die Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in vollem Umfang geantwortet werden kann, so mag doch gewiss sein, dass wir einer Lösung näher kommen, wenn wir einen Teil der hier gefertigten Textilien untersuchen, deren Stil mit den hier entstandenen Gemälden nahe verwandt ist. Aus dem Schaffen der Künstlerkolonie von Gödöllő ragen zwei bedeutende Persönlichkeiten hervor, die sowohl als Maler, als auch als Kunstgewerbler einen Namen haben : Aladár Körösfői-Kriesch und Sándor Nagy, der nicht unbedingt erst an zweiter Stelle zu nennen wäre, wie man das vielleicht den bisherigen Publikationen entnehmen könntet Die Kolonie wurde in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts unter der Leitung der beiden Künstler nach und nach organisiert. Zwei schöne Wandteppiche unseres Museums, die in Gödöllő entstanden, sind Werke Aladár Körösfői-Krieschs. Auf dem einen wird Kassandra dargestellt' (Abb. 1), als sie versucht, aus dem .Flug der Vögel die Zukunft zu prophezeien. In den unruhigen Bewegungen der Tochter des König Priamos, der uns aus Homers Ilias bekannt ist, in den dunkelblauen Farben, die einen Sturm ahnen lassen, in den hervorschimmernden Wellen spüren wir — wenn auch in sehr übertragenem Sinne — etwas von den Kämpfen der Künstlerkolonie und des Künstlers, von dem Kampf zur Einführung der neuen künstlerischen Vorstellungen und des neuen Stils. Der erhobenen linken Hand der Figur kommt nicht nur eine inhaltliche Bedeutung zu, sondern sie erfüllt auch eine kompositorische Rolle: sie lenkt unseren Blick zu den am Himmel unheilverkündend umherflatternden Vögeln. Das Werk entstand im Jahre 1908 und wurde bereits auf der Ausstellung des Nemzeti Szalon (Nationalsalon) vom Jahre 1909 gezeigt. Bei dieser Gelegenheit wurde es von Baron Adolf Kohner erworben, dessen Witwe es unserem Museum vermachte, in dessen Sammlung es sich gegenwärtig befindet. 8 In der unteren rechten Ecke des Wandteppichs findet sich ein kompliziertes lineares Zeichen, das als Aladár Körösfői-Krieschs Monogramm entziffert werden kann, das Zeichen der linken unteren Ecke hingegen ist ein grosses B, das in einem Quadrat eingefasst ist, worauf sich ein grosses L befindet. Das letztere Signum bringen wir mit dem Namen Leo Belmonte in Verbindung. Hierauf wurde bisher noch nicht sonderlich geachtet, obwohl Leo Belmonte in dieser Kolonie gearbeitet und wie bekannt ist, hauptsächlich nach den Kartons von Körösfői und 170